Als die homophoben Demonstranten gen Landtag marschierten, stahlen ihnen ein paar Schwule die Show (Bild: nb)
Die "Initiative Familienschutz" konnte am Samstag erneut Hunderte gegen Schulaufklärung über sexuelle Vielfalt auf die Straße bringen. Doch der Widerstand war groß.
Von Norbert Blech
In wenigen Wochen wird der Landtag von Niedersachsen beschließen, in Schulen besser über die "Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten" aufzuklären (Drucksache 17/1333). Wie zuvor in Stuttgart hat das eine Mischung aus überfrommen und überkonservativen Bürgern auf die Palme gebracht – und am Samstag im Rahmen der von Berlin aus organisierten "Demo für alle" auf die Straßen Hannovers.
Zugleich hatte das, nur rund zwei Wochen nach der Ankündigung der Demo, zu einem großen Gegenprotest unter dem Titel "Vielfalt statt Einfalt" geführt. Der Personaldezernent der Landeshauptstadt Hannover verlas von dessen Bühne nicht nur Grußworte des SPD-Oberbügermeisters Stefan Schostok, der dafür gesorgt hatte, dass um die Demo der Aufklärungsgegner herum Regenbogenflaggen wehten. Harald Härke kritisierte selbst die "Dumpfbacken" auf dem Platz gegenüber.

Weitaus ernster wurde es, als Henrike Aschemann und Annika Polzyn vom Schulaufklärungsprojekt SchLAu sprachen. Sie beklagten, dass ihre größtenteils ehrenamtliche Arbeit mit Schülern, die alleine Antidiskriminierung zum Ziel und nichts mit Sexualaufklärung zu tun habe, von den Aufklärungsgegnern wie wild diskreditiert werde.
Und das verfehle nicht seine Wirkung: Inzwischen hänge in manchem Lehrerzimmer der FAZ-Artikel, der sich auf SchLAU eingeschossen hatte; auf Mailinglisten von Lehrern würde er ebenfalls verbreitet. Einige Lehrer würden vereinbarte Workshops wieder absagen. Und die Schüler nicht gefragt, was sie wollen.
Zwei Schüler hielten die wichtigste Rede des Tages
Dabei haben die durchaus eine Meinung: Viel Applaus erhielten zwei Vertreter des Landesschülerrates, die sich hinter die Arbeit von SchLAu und die Ziele des rot-grünen Gesetzentwurfs stellten. "Wir brauchen nicht mehr Toleranz, wir brauchen eine offene Gesellschaft", sagten Daniela Rump und Tjark Melchert. Kinder müssten daher vernünftig über die Vielfalt des Lebens aufgeklärt werden, auch damit "'schwul' kein Schimpfwort mehr ist". Projekte wie SchLAu seien "riesig", inzwischen gebe es da mehr Nachfrage als Angebot.
Die geplante Reform durch die Landesregierung sei wichtig. Kinder würden dadurch nicht sexualisiert, kritisierten die Schüler die "hohlen Phrasen" der Aufklärungsgegner. Die "erzkonservativen Populisten" würden sich nicht mit ihren Argumenten durchsetzen können: "Schutz für Familie schön und gut. Aber auch Regenbogenfamilien sind Familien."
Für die GEW sprach eine lesbische Lehrerin, die sich Unterstützung von ihrem Dienstherrn wünscht: "Für die schwulen und lesbischen Schüler. Und für Leute wie mich." Ein Vertreter des Verbandes Eltern homosexueller Kinder forderte ebenfalls mehr Rückhalt für den Nachwuchs.
Es dürften bis zu 1.000 Menschen gewesen sein, die den Worten auf der Bühne lauschten. Regenbogenflaggen flatterten zahlreich durch die Luft. Darunter eine, die bereits beim CSD in Moskau dabei war: Pawel, Dima und Wanja, drei schwule Flüchtlinge aus Russland, waren auch zu dem Protest gekommen. "Hier müsst ihr keine Angst haben. Dafür werden wir sorgen", hieß es zu ihnen von der Bühne. Dabei kämpfen sie längst mit.
Drei Demo-Teilnehmer hatten nicht Russland hinter sich gelassen, um nun hier eine homophobe Bewegung zu erleben

Bei den Aufklärungsgegnern: Ein Mann hob abwechselnd einen seiner Ärme, ein Sicherheitsordner mit Bart entfernte später eine Regenbogenflagge. Einem Video (bei 10:45) zufolge war er bereits bei der HoGeSa-Demo der Vorwoche Ordner
Die "Demo für alle", wie in Dresden in der Vorwoche schnell umrandet von den Gegendemonstranten, wurde von Hedwig von Beverfoerde eröffnet. Die Organisatorin des Protests und Sprecherin der "Initiative Familienschutz" beklagte, dass man – anders als in Stuttgart – keinen Vertreter der CDU zu einer Rede oder einem Grußwort habe überreden können (nebenbei verriet sie, selbst CDU-Mitglied zu sein). Die Schüler-Union, die vor wenigen Wochen noch eine heftige Anti-Bildungsplan-Pressemitteilung verschickt hatte, habe eine geplante Teilnahme wieder abgesagt.
Dafür war die AfD vertreten: Zum einen mit zahlreichen Plakaten, bei denen die Parteilogos überklebt worden waren – Anhänger der Partei bildeten quasi nach der Polizei einen zweiten Sicherheitsring gegen Gegendemonstranten. Zum anderen mit der vorab nicht angekündigten Rednerin Anette Schultner, Beisitzerin im Landesvorstand. Sie kritisierte eine "Gehirnwäsche der Kinder" und eine "perverse Frühsexualisierung": Auf "Druck der Homo-Lobby wird die Gender-Agenda in die Schulen gedrückt." Ihr "Pfui" dazu stieß auf viele Gegenpfiffe der LGBT-Demonstranten.

Ein paar Lesben und Schwule hatten sich immer mal wieder zwischen die Aufklärungsgegner schmuggeln können. Als zwei junge Mädchen eine Regenbogenflagge auspackten, wurde diese schnell von hinten von einem Ordner der "Demo für Alle" weggerissen und weit weg durch die Luft geworfen – als wäre die Flagge eine ernsthafte Bedrohung. Es war eine Szene, die an das Vorgehen russischer Behörden gegen LGBT-Proteste einnerte.
Von Beverfoerde hatte zuvor verkündet, dass man keine diskriminierenden Botschaften wünsche, ansonsten drohe die Entfernung durch Ordner. Freilich fanden sich auf Plakaten genügend diskriminierende, homophobe Aussagen. Und von der Bühne prasselten sie im Stakkato herab. "Kinder werden missbraucht als Versuchskaninchen", kritisierte etwa eine Mutter von elf Kindern namens Ruth Heil.
Ein zwischenzeitlich überklebtes Plakat: Putin wirds richten
"Nach Faschismus und Sozialismus droht nun der Genderismus", formulierte gar Eckhard Kuhla von Agens e.V., ein Veteran mancher Anti-Bildungsplandemo in Stuttgart. "Minderheiten werden als normal dargestellt", das sei eine "unglaubliche Gleichmacherei".
Gerrit Kohls von den Freien Wählern, Initiator einer homophoben Petition gegen die Pläne der Landesregierung, kritisierte die "Politik für Minderheiten, die höchstens eins bis zwei Prozent ausmachen, und der sich die Mehrheit unterordnen" müsse. Das hätte man der "gleichmachenden SPD, den pädofreundlichen Grünen und der homofreundlichen FDP" zu verdanken.
Jürgen Liminski, ein Radiogesicht
Von einer "Meinungsdiktatur" sprach gar der Deutschlandfunk-Moderator Jürgen Liminski. Bei den Bildungsplänen gehe es um die "Verunsicherung der Kinder" und das "Niederreißen ihrer Schamgrenzen", was "vor allem Pädophilen" nütze.
Dass hier vieles über vermeintliche Auswüchse des Unterrichts vorgeschoben ist, machte letztlich das Flugblatt der "Demo für Alle" deutlich. Das endet mit der schlichten Aussage, man lehne eine "Akzeptanz 'sexueller Vielfalt' ab". Der homophobe Protest selbst endete nach einem Marsch durch die Innenstadt vor dem Landtag mit den bedauernswerten Worten "Wir kommen wieder".
Eine Vertreterin von "Kirche in Not" erzählte noch, in der Bahn habe sie ein russischer Mitbürger gebeten, für ihn mitzudemonstrieren. Das gleiche gelte für den Taxifahrer aus Afghanistan. "Wir sind größer, als es die Demo vermuten lässt", meinte sie dazu.
Von Beverfoerde: "Wir kommen wieder"
Dabei war dieser Protest nicht klein: Die Polizei ging von 1.200 Teilnehmern aus, und das scheint ausnahmsweise eine vorsichtige Schätzung zu sein. Vor ziemlich genau einem Jahr, als es mit der Compact-Konferenz eine erste Vorahnung einer aufziehenden homophoben Bewegung gab, hätte niemand diese reaktionäre Mobilisierung für möglich gehalten. Andererseits scheinen die "Demos für alle" auch nicht großartig anzuwachsen – eine Massenbewegung wie in Frankreich wird es wohl nicht mehr werden.
Beruhigend ist, dass sowohl in Dresden als auch in Hannover die Medien den Protest distanzierend in der erzkonservativen bis rechten Ecke einordneten – nur in Baden-Württemberg hatte man sich von der Online-Petition beeindrucken lassen und die Aufklärungsgegner erheblich mehr ernst genommen. Auch die Politik in Stadt und Land scheinen in den beiden Regionen weniger besorgt als im Ländle.
Wichtig war dafür sicher auch, dass die Szene Gesicht zeigte. Es wird weitere Regionen Deutschlands geben, die sich spätestens im nächsten Jahr gegen ihre Version einer "Demo für alle" aufraffen müssen.
Direktlink | Ein kurzer Videoeindruck beider Proteste von "Enough is Enough" - die Aktivisten waren eigens aus Berlin angereist
Würde Dummheit in Deutschland bestraft werden, dann kämen Frau Hedwig von Beverfoerde und ihr homophobes Gesindel für immer hinter Gitter!