Auch in Deutschland stehen Menschen mit HIV mit einem halben Bein im Gefängnis (Bild: flickr / Victor / by 2.0)
Mit europäschem Haftbefehl wird ein HIV-positiver Tscheche gesucht, der u.a. ungeschützten Sex gehabt haben soll – die "Dresdner Morgenpost" beteiligt sich an der Jagd.
Von Micha Schulze
"Vorsicht vor diesem Mann!", warnt die "Dresdner Morgenpost" in einer in Deutschland bislang einmaligen Jagd auf einen Menschen mit HIV. Obwohl er bislang nicht verurteilt wurde, veröffentlichte das Boulevardblatt am Dienstag gleich vier unverpixelte Fotos von dem "HIV-Mann, der Menschen absichtlich ansteckt".
Weiter heißt es mit doppeltem Hinweis auf die Infektion: "Der HIV-positiv getestete Zdenek P. [Nachname von queer.de gekürzt] (48) aus dem grenznahen, nordböhmischen Most ist HIV-positiv. Seinen zahlreichen, wechselnden Sex-Partnern, die er größtenteils über das Internet kennen lernte, sagte er nichts davon."
Die Faktenlage indes ist recht dünn, auch der Bezug zu Deutschland scheint weit hergeholt: Zwei Männer habe P. mit "fast hundertprozentiger Sicherheit angesteckt", darunter einen nicht Volljährigen, schreibt die "Dresdner Morgenpost" – und beruft sich dabei auf die tschechische Polizei, die den 48-Jährigen mit europäischem Haftbefehl sucht. Da er mit 1.200 Männern gechattet habe, könnten es Hunderte "Opfer" sein, spekuliert das Boulevardblatt. "Laut der Nachforschungen über die sozialen Netze ist nicht ausgeschlossen, dass er auch in Sachsen Kontakte pflegte", wird eine Polizeisprecherin zitiert.
"Dresdner Morgenpost" ließ Fakten unter den Tisch fallen
Der Vorwurf der Zeitung gegenüber dem Angeklagten: "Zdenek P. gab gegenüber seinen Opfern stets an, gesund zu sein, obwohl er seit 2013 weiß, dass er HIV-positiv ist." Unklar ist dabei bislang, ob sich der Angeklagte einer Therapie unterzieht und überhaupt noch infektiös ist. Bereits drei Monate nach der regelmäßigen Einnahme von antiviralen Medikamenten sinkt die Viruslast in der Regel unter die Nachweisgrenze.
Tschechische Medien berichten etwas differenzierter über den Fall. So seien die Behörden in Kontakt mit 16 Männern aus ganz Tschechien, die mit dem Angeklagten oralen oder analen Sex gehabt haben sollen, schreibt das Portal Blesk.cz. "Einige der Partner hatten ihn nach HIV gefragt und er antwortete immer, das alles in Ordnung sei. Ein Kondom hat er nur benutzt, wenn dies vom Partner verlangt wurde."
Konkret habe ein 15-Jähriger ausgesagt, sich bei P. angesteckt zu haben. In einem zweiten Fall wird eine Infektion für möglich gehalten.
Der HIV-Status des Gesuchten spielt für die Staatsanwalschaft jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Neben "schwerer Körperverletzung" und der "Ausbreitung von Infektionskrankheiten" werfen die tschechischen Behörden P. vor allem "sexuellen Missbrauch" und sogar "Besitz und Produktion von Kinderpornografie" vor. Eine wesentliche Voraussetzung für den europäischen Haftbefehl, die man in der "Dresdner Morgenpost" nicht erfährt.
Mitte vergangenen Jahres war P. bereits vorübergehend festgenommen worden, entging jedoch der Untersuchungshaft. Am 5. Juni setzte er sich mit einem One-Way-Ticket nach Thailand ab, seitdem verliert sich seine Spur.
Verfolgung auch in Deutschland
Auch in Deutschland können HIV-Positive für ungeschützten Sex bestraft werden. So wurde eine HIV-positive Sexarbeiterin 2014 zu vier Jahren Haft verurteilt (queer.de berichtete). Die Deutsche Aids-Hilfe kritisiert die Kriminalisierung der (potenziellen) HIV-Übertragung als kontraproduktiv. Jeder müsse für seinen Schutz vor HIV selbst Verantwortung übernehmen, die Täter-Opfer-Logik des Strafrechts passe nicht zu selbstbestimmten sexuellen Begegnungen. Menschen mit HIV einseitig die gesamte Verantwortung zuzuschieben, trage zu ihrer Stigmatisierung bei.
Der Nationale Aids-Beirat der Bundesregierung kritisierte bereits 2013, dass Strafverfahren bei HIV-Übertragungen nach einvernehmlichem Sex "keinen Beitrag zur HIV-Prävention" leisten würden (queer.de berichtete).
Gegen die Berichterstattung der "Dresdner Morgenpost" hat queer.de eine Beschwerde beim Deutschen Presserat eingereicht. Wir sehen in dem Artikel über Zdenek P. einen Verstoß gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit), Ziffer 12 (Diskriminierungen) und Ziffer 13 (Unschuldsvermutung) des Pressekodex.
Solche Aktionen, wo mit Fotos in Zeitungen zur offiziellen Jagd auf Schwule aufgerufen wird, kennt man sonst nur aus Afrika, Russland und dem mittleren Osten.
Jetzt ist es auch schon in Deutschland so weit.
Zweifelt wirklich noch jemand am konservativen Rollback und dass der immer mehr Fahrt aufnimmt?!