Der Filmproduzent Wolf C. Hartwig ist am 18. Dezember 2017 im Alter von 98 Jahren gestorben. Den größten Erfolg hatte er mit seiner 13-teiligen und mit insgesamt 100 Millionen Zuschauern kommerziell erfolgreichen Filmreihe "Schulmädchen-Report" (1970-1980).
Dieser Filmreihe lag das gleichnamige Buch aus dem Jahr 1970 von Günther Hunold zugrunde, der viele Schulmädchen zu sexuellen Themen interviewte. Hunold betonte bei der Auswertung der Antworten die tolerante Einstellung gegenüber Schwulen und Lesben. Von den Mädchen wurde die Legalisierung der (zum Zeitpunkt der Interviews noch illegalen) männlichen Homosexualität befürwortet und die Auffassung vertreten, dass die Altersgrenze für homosexuelle Kontakte bei 18 und nicht bei 21 Jahren liegen sollte.
In seinem Buch druckte Hunold nur die bemerkenswertesten Interviews ab, in einer Mischung aus pornographischer und sexualwissenschaftlicher Literatur ging es um das Verhalten einzelner, nicht um das der Allgemeinheit der Schülerinnen.
Homosexualität in der Filmreihe nahezu ausgeblendet
Im Gegensatz zum "Schulmädchen-Report" als Buch wurden in der darauf basierenden gleichnamigen Filmreihe schwule Männer nahezu ausgeblendet. Im sechsten Teil (1973) muss eine Lehrerin auch die gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern streifen. Man kann sich freuen, dass dieser Text der Lehrerin im Film durch eine sogenannte Ton-Bild-Schere untergegangen ist, das heißt man hört zwar die Lehrerin, ist aber abgelenkt, weil man sieht, wie eine Schülerin Sex mit dem italienischen Fensterputzer hat (Hier gibt es die Szene als Video, von 53:35 bis 54:50).
Eine solche Ton-Bild-Schere ist für Schulmädchen-Report typisch: Auf der einen Seite wird weibliche Nacktheit und heterosexueller Sex gezeigt und auf der anderen Seite hört man Off-Kommentare im pseudo-pädagogischen Wissenschaftsgestus. Der Einsatz einer solchen Schere war nicht nur ein gestalterisches Mittel, das distanzierend zum sexuellen Inhalt wirkt, sondern auch ein Mittel, um der Zensur zu entgehen. Hartwig betonte ausdrücklich, dass ohne dieses gestalterische Mittel die Szenen nicht durch die Zensur gekommen wären.
Damit wird durch die Schere, durch das Auseinanderklaffen der Szenen zwischen visuellem Sex und eingesprochener Moralvorstellung, die Doppelmoral von "Schulmädchen-Report" besonders deutlich. Dass sich Hartwig dieser Doppelmoral beugen muss, kann man ihm nicht vorwerfen. Wie er diese Szenen gestaltet hat, jedoch schon. Vermutlich waren bei dieser Filmszene viele Menschen abgelenkt: Die Schülerinnen im Film, die Zuschauer im Kino und auch mehrere Rezensenten, die behaupten, dass in der gesamten Filmreihe männliche Homosexualität nicht vorkommt.
Wolf C. Hartwig war ausgeprochen homophob
Produzent Hartwig liebte "schöne Mädchenkörper" (Bild: Constantin Film)
Nach Annette Miersch ("Schulmädchen-Report. Der deutsche Sexfilm der 70er Jahre") korrespondiert der ablehnende Umgang mit Homosexualität erkennbar stark mit den persönlichen sexualmoralischen Auffassungen und Wertvorstellungen ihres Produzenten Wolf C. Hartwig, der im Rahmen eines Interviews sagte: "Nein. Das [die Homosexualität unter Männern] hat mich nicht interessiert. Das will ich Ihnen ehrlich sagen, ich bin ein absoluter Gegner der Homosexualität. Ich finde sie schmuddelig. […] Was Männer machen, aus der technischen Situation, dass die immer in ihren Popo was reinstecken müssen, das ist unappetitlich für mich, unakzeptabel. Und ich will das nicht sehen und meinem Publikum nicht zeigen. Die sollen das machen, ich bin frei, ich bin tolerant, soll jeder machen, was er will. Aber schöne Mädchenkörper, das ist ein großer Unterschied. Was Männer machen, technisch, find' ich ekelhaft." Später sagte Hartwig: "Ich finde es ekelhaft, dass heute das Thema Homosexualität so außen hochgespielt wird. Früher gab es genau dieselbe Sexualität. Aber man hat es diskret gemacht. […] Das war ja nie so schlimm. Aber gerade heute, die sind ja fast stolz, wenn sie sagen: Ich bin schwul! […] Das kotzt mich an."
Seine Äußerungen sind alleine schon deshalb leicht als Doppelmoral erkennbar, weil er für homo- und heterosexuelles Verhalten keine gleichen Maßstäbe anlegt. Heterosexuelle, die – um die Worte von Hartwig aufzugreifen – immer in ihren Popo was reinstecken müssen, sind in einigen Folgen von "Schulmädchen-Report" zu sehen. Dies sei erwähnt, auch wenn mit solchen Informationen keine zielgerichteten und konstruktiven Diskussionen erreicht werden.
Nur drei Penisse in 13 Filmen
Die Filmreihe zeigt die Fantasien heterosexueller alter Männer (Bild: Constantin Film)
Zwei weitere von Annette Miersch in ihrem Buch behandelte Themen haben am Rande ebenfalls mit Homosexualität zu tun: Zum einen weist sie darauf hin, dass Hartwig die Vermutung von sich gewiesen hat, "er habe die Serie speziell auf ein männliches Hetero-Publikum zugeschnitten. Dafür sei er viel zu sehr Geschäftsmann. 'Mein Publikum war das Publikum, was zahlt […] unabhängig vom Geschlecht […] und so weiter'." Diese Aussage bleibt unglaubhaft – auch wenn sie schlecht widerlegbar ist.
Zum anderen bietet Miersch in ihrem Buch gute und nachvollziehbare Erklärungsmöglichkeiten an, warum der Penis von Männern in 13 Filmen nur drei Mal zu sehen ist: Dies lässt sich nicht nur mit Ästhetik begründen, wie es Hartwig macht oder dass man diesen Umstand als Zeichen männlicher Homophobie deuten kann. Die fehlende Präsenz lässt sich auch über die Zensurbestimmungen erklären, "weil der von der FSK erlaubte, das heißt unerigierte Penis […] zu viele Fragen offen [lässt], etwa über dessen 'volle' Größe, Leistungskraft und Ausdauer ". Am Ende kommt Annette Miersch zu einer ernüchternden Bewertung, der wir uns guten Gewissens anschließen können: "Das soziosexuelle Realitätsszenario ist als kleinbürgerlich-patriachale Männer- und auch Altherrenfantasie zu charakterisieren."
Die Menschen werden sicherlich unterschiedlich auf den Tod von Wolf C. Hartwig reagiert haben, je nachdem, ob sie ihn als Privatperson oder als Filmproduzenten erlebt haben.
Ein Wort in eigener Sache
Hinter gutem Journalismus stecken viel Zeit und harte Arbeit – doch allein aus den Werbeeinnahmen lässt sich ein Onlineportal wie queer.de nicht finanzieren. Mit einer Spende, u.a. per
Paypal oder Überweisung, kannst Du unsere wichtige Arbeit für die LGBTI-Community sichern und stärken.
Abonnenten bieten wir ein werbefreies Angebot.
Jetzt queer.de unterstützen!