Sapaew wurde 42 Jahre alt
Russische Medien haben am Samstag, dem Internationalen Tag zur Sichtbarkeit von Transpersonen ("International Transgender Day of Visibility"), über den Tod der Trans-Aktivistin Nastja Sapaew berichtet. "Einige Hooligans in Moskau mochten ihr Aussehen nicht – sie wurde zu Tode geprügelt", sagte eine Freundin der 42-Jährigen, Julia Busirewa, gegenüber dem Magazin "Starhit".
Nähere Details und den Zeitpunkt der Tat nannten die Berichte zunächst nicht. Busirewa sagte, sie habe kürzlich von dem Tod erfahren. Die meisten Medien berichteten über Sapaew durchgehend mit männlichem Personalpronomen, was vom russischen LGBT Network als Misgendern kritisiert wurde, und dem früheren Namen Ewgenij, unter dem Sapaew bekannt wurde.
2010 hatte Sapaew eine Nebenrolle als Soldat in der Fortsetzung des Erfolg-Kinodramas "Die Sonne, die uns täuscht". Drei Jahre später begann sie ihre Transition – mit einer selbst durchgeführten Operation. In Talkshows berichtete sie später davon, wie sie sich selbst, in mehreren Schritten, mit einem Messer den Penis abschnitt, nach dem Studium von Medizinbüchern und unter Schmerzmitteln. Wie sie mit Blutungen ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wo Ärtze ihr Leben retteten. Als Grund für die Selbstbehandlung, die Ansätze für Nachfolge-Behandlungen berücksichtigte, hatte sie Geldnot angegeben.
Nach der verzweifelten Selbst-OP, zu der sie zuvor vier Mal angesetzt, ihr aber letztlich zunächst der Mut gefehlt habe, beendete Sapaew die Schauspiel-Karriere, zog nach Moskau, trug jetzt Frauenkleidung und gab sich den weiblichen Vornamen. Später zog sie in die Heimat Welikowo in der Region Wladimir zurück, besuchte die rund 200 Kilometer entfernte Hauptstadt nur noch selten.
Der Traum, einfach Frau sein zu können
Sapaew trank nicht, rauchte nicht und nahm keine Drogen, berichtet eine Korrespondentin der Zeitung "Komsomolskaja Prawda". Spott und Beleidigungen habe sie ertragen und sei sich für keine Arbeit zu schade gewesen, habe als Netzelektrikerin ebenso gearbeitet wie als Reinigungskraft in einem Kuhstall. Sie habe Demütigungen in Talkshows ertragen – nicht für den Ruhm, so die Korrespondentin, aber um die Lage für sich und andere zu verbessern. Und für das dringend benötigte Geld für weitere Behandlungen. All das habe sie erduldet für ihren Traum, als Frau zu leben, so die Zeitung. "Für diesen Traum wurde sie ermordet."
In Moskau sei sie zuletzt gewesen, um die letzten geschlechtsanpassenden Behandlungen vorzunehmen. Ihr Leichnam sei nicht in die Heimat zurückgekehrt, berichtete Freundin Busirewa: "Sie haben sie anonym als Obdachlose beerdigt und gaben Verwandten keine Möglichkeit, sich zu verabschieden." Einigen Medienberichten zufolge spielte dabei offenbar eine Rolle, dass Sapaew kaum noch Verwandte hatte. Die Eltern waren früh gestorben; eine Großmutter, die sich um Sapaew gekümmert hatte und die Sapaew später zeitweilig gepflegt hatte, bis das Geld fehlte, lebt in einem staatlichen Pflegeheim.
Zunahme von Morden unter Stimmungsmache
Im letzten Sommer hatte eine Statistik gezeigt, dass sich die jährliche Zahl an Hassverbrechen an LGBTI, darunter vor allem Morde, in Russland nach der medialen Diskussion über das Gesetz gegen "Homo-Propaganda" und seiner Verabschiedung mehr als verdoppelt hat (queer.de berichtete). Die Auswertung von Justiz- und Polizeidaten umfasst nicht die Verschleppungswelle an Schwulen in Tschetschenien, die am 1. April 2017 erstmals durch Medienberichte bekannt wurde und mehrere Todesopfer forderte. An diesem Dienstag wollen LGBTI- und Menschenrechts-Organisationen und Journalistinnen der Zeitung "Nowaja Gaseta" ihre neuesten Erkenntnisse zu der Verfolgung vorstellen.
Das selten zu Anklagen, aber vor allem zu Stimmungsmache, Einschüchterung und zum Vorab-Verbot von Demonstrationen genutzte Anti-"Propaganda"-Gesetz hatte in den letzten Tagen erneut Schlagzeilen gemacht, als ein regionaler Staatsanwalt zusammen mit der örtlichen Medienbehörde damit vor Gericht eine Aufnahme auf den Jugendschutzindex für die Nachrichtenwebseite gay.ru erwirkten – obwohl diese seit langem mit dem Zusatz "18+" gekennzeichnet ist, womit sich Medien einer Verfolgung durch das Gesetz, das "Verstöße" nur im Beisein von Jugendlichen bestraft, entziehen können. Die Seite wurde aufgetragen, einige Unterseiten zu löschen. Sie ist, mit einem deutlicheren 18+-Hinweis, derzeit weiter abrufbar. Das queere Jugendprojekt "Kinder 404" hatte eine 2015 angeordnete Sperre im sozialen Netzwerk vk durch eine schlichte Umbenennung des Accounts umgehen können (queer.de berichtete).
Anfang des Jahres hatte Russland bekannt gegeben, dass Personen demnächst einfacher eine rechtliche Änderung ihrers offiziellen Geschlechts erwirken können; ein komplizierteres, langwieriges und in der Praxis willkürliches und demütigendes Prozedere war bereits seit 1997 möglich. Für die Änderung des rechtlichen Geschlechts ist ein medizinisches Attest, aber keine geschlechtsangleichende Operation mehr notwendig. Diese medizinischen Leistungen werden ebenso wie Hormontherapien weiter nicht vom staatlichen Gesundheitssystem abgedeckt. (nb)