In dem berührenden, unterhaltsamen und tiefsinnigen Dokumentarfilm "Die Nacht der Nächte" erzählen die Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli ("Almanya – Willkommen in Deutschland" von vier Paaren aus sehr unterschiedlichen Kulturen, die jeweils seit mehr als einem halben Jahrhundert gemeinsam durchs Leben gehen. Mit überraschender Offenheit erzählen ihre Protagonisten von Sex und Moral, Liebe und Gesellschaft, Kinder und Partnerschaft.
Mit dabei: ein indisches Ehepaar, das gegen das Kastensystem geheiratet hat und deshalb mit seinen Familien brechen musste. Ein japanisches Ehepaar, das zwangsverheiratet wurde und sich sehr schwer tat mit dem Lieben. Ein knorriges Nachkriegspaar aus dem Ruhrpott. Und zwei schwule Männer aus den USA, die erst heiraten durften, nachdem sie schon fünf Jahrzehnte zusammen waren und die damit verbundenen rechtlichen Probleme lösten, in dem der eine den anderen adoptierte.
Liebe auf den ersten Blick
Poster zum Film: "Die Nacht der Nächte" läuft seit Donnerstag im Kino
Kennengelernt haben sich Norman MacArthur und Bill Novak auf einer Hochzeit. Statt mit den Frauen am Tisch zu flirten, sprachen die beiden den ganzen Abend nur miteinander und merkten, dass sie sich blendend verstanden. Bill erzählt, dass er sofort wusste, dass sie entweder sehr gute Freunde oder ein Paar werden würden: "Er war einer der sehr seltenen Exemplare von Menschen, die an meine Vorstellung vom 'Richtigen' heranreichten."
Aber ganz so einfach war es dann doch nicht. Auch weil Bill nur noch einen einzigen Tag in Amerika hatte, bevor er für mehrere Monate nach Europa aufbrach. Sie nutzten diesen letzten gemeinsamen Tag. Gingen ins MoMA in eine Ausstellung und anschließend gemeinsam essen. Mehr nicht. Aber Bill schickte Norman den ganzen Sommer über Postkarten. Norman erzählt, wie beeindruckend diese waren und dass er es kaum erwarten konnte, Bill wieder zu sehen.
Homosexualität war damals noch verboten
In der Doku sind die Paare auch als Puppen zu sehen (Bild: Concorde Filmverleih GmbH)
Als nach Monaten der Trennung Bill endlich wieder zurück war, konnte ihre Liebesgeschichte beginnen. Beiden Männern wurde klar, dass sie sich ineinander verliebt hatten. Da Homosexualität in den USA der Sechzigerjahre verboten war und beide noch bei ihren Eltern lebten, mussten sie die Dinge grundlegend ändern. Nur so war ein gemeinsames Leben möglich.
Sie zogen um. New York wurde ihre neue Wahlheimat, bot die Freiheit und Weltoffenheit, die es in der Provinz nicht gab. Beide fanden Jobs, eine gemeinsame Wohnung und konnten ihr Leben miteinander teilen. Die Familien akzeptierten ihre Homosexualität, darüber offen gesprochen wurde jedoch nie.
Der 63-Jährige adoptierte den 61-Jährigen
Norman und Bill fanden in New York City ein tolerantes Zuhause (Bild: Concorde Filmverleih GmbH)
Obwohl sie ihr ganzes Leben miteinander geteilt hatten, wurde ihnen im Alter klar, dass ihrer Beziehung jeglicher rechtliche Schutz fehlte. Falls einer erkranken oder sterben sollte, hätte der andere kein Anrecht aufs Erbe – nicht einmal im Krankenhaus dürfte er ihn besuchen. Das musste sich ändern. So wie vielen anderen Homosexuellen wurde ihnen nahegelegt, sich zu adoptieren. Bill wurde im Jahr 2000 mit 63 Vater des 61-jährigen Norman. Juristisch waren sie nun abgesichert, dennoch empfanden sie die Situation persönlich als wenig ideal.
Als 15 Jahre später der Oberste US-Gerichtshof die Ehe öffnete, galt es für Norman und Bill ihre Adoption zu annullieren, um endlich heiraten zu können. Der Richter, der dies tat, schrieb damit Geschichte. Endlich war – nach 53 gemeinsamen Jahren – der Weg frei für ihre Hochzeit. Und sie schrieben damit auch Schlagzeilen. So titelte beispielsweise eine Zeitung: "Vater heiratet Sohn." (cw)
Infos zum Film
Die Nacht der Nächte. Dokumentarfilm. Deutschland 2018. Regie & Buch: Yasemin & Nesrin Samdereli. Mitwirkende: Hildegard & Heinz Rotthäuser, Kamala & Nagarajayya Hampana, Shigeko & Isao Sugihara, Norman MacArthur & Bill Novak. Laufzeit: Minuten. Sprache: deutsch-englisch-japanische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 0. Verleih: Concorde. Im Kino seit 5. April 2018
Ein wunderbarer Lebensentwurf, bei dem gemeinsam durch dick und dünn die Probleme gemeistert wurden und den ich mir gerne zum Vorbild nehme.