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Ein Loblieb auf die Klappe
- 15. November 2017,

Mit der neuen Ausstellung "Fenster zum Klo - Public Toilets & Private Affairs" von Marc Martin würdigt das Schwule Museum* Berlin die schwule Geschichte der öffentlichen Bedürfnisanstalten.
In diesen kostbaren Büdchen konnten sich unbeargwöhnt flüchtige oder intensive Beziehungen und Freundschaften entspinnen. Gewiss haben die dabei gefundenen Abwege ihre Spuren eher in den Protokollen der Sittenpolizei als in der Literatur hinterlassen. Die homosexuelle Community schämt sich ihrer wohl eher, als dass sie stolz auf sie wäre.
Und dennoch bedeuteten die sogenannten Klappen für zahlreiche Schwule, Transvestiten, Stricher und Sittenstrolche auch die Freiheit zum Abenteuer. Diese Durchgangsorte erlaubten untypische Gemeinschaften, in denen die sozialen Klassen durcheinandergerieten und sich unterschiedliche Milieus vermischten. So konnten sich in diesen "Pissbuden" alle möglichen Männer mit verfemten Wünschen näherkommen, sofern sie ihre Angst überwanden. Die öffentlichen Toileten haben Millionen Männern gute Dienste geleistet.
Obwohl diese Sichtbarkeit nur im "Untergrund" möglich war und oft als unwürdig und erniedrigend galt, zeigte sie doch immerhin, dass es so etwas wie Homosexualität überhaupt gab. Angesichts der allgemeinen Missachtung und unter dem strafenden Auge des Gesetzes drückte sich diese bis in die Achtzigerjahre mehr recht als schlecht eben dort aus, wo sie ein Schlupfloch fand.
Auf trüber Keramik oder vergilbter Ölfarbe haben sich hinter verschlossenen Türen Millionen von Graffiti angesammelt. Frei von den üblichen Regeln, ließen sie die Möglichkeit einer oder mehrerer Parallelwelten aufscheinen. Sie erzählen uns in einer rohen, zotigen Sprache von den uneingestandenen Wünschen einer ganzen Gesellschaft. Die Kreideinschriften an den Wänden der Klappen waren die Vorfahren der Kleinanzeigen, welche wiederum Grundlage für moderne Sex- und Datingapps waren. Als Anziehungspunkte für unaussprechliche Freiheiten, als Postämter für geheime Nachrichten oder als Rückzugsorte für verbotene Neigungen speicherten sie jeweils die Fantasien, die ihnen im Zentrum einer jeden Stadt und eines jeden Dorfes anvertraut wurden. Inmitten von Beleidigungen, Witzen, rassistischen Äußerungen und Laienphilosophie drücken sich trotz alledem auch Begierde und Liebe aus. Letztere sind es, die der Arbeit von Marc Martin die Richtung weisen.
Der französische Fotograf beschäftigt sich mit urbanen Phantomen im Zusammenspiel mit männlichen Vorstellungswelten. Seine Fotos entlocken den Schattenseiten ihren heimlichen Glanz. Auch seine Hinwendung zu den Klappen ist nicht ganz harmlos. In seiner Betrachtungsweise überlagern sich die Epochen. Er bevorzugt die dreckige menschliche Realität gegenüber steril anmutenden gesellschaftlichen Erwartungen. Daher begnügt er sich nicht mit den Klischees über die letzten Überbleibsel einer verlorenen Vergangenheit, sondern er haucht ihnen mit aktuellen Inszenierungen, mit Zeugenberichten, mit Anekdoten und Archivdokumenten, die er über die Jahre aufgelesen hat, neues Leben ein.
Seine aktuellen Fotos wird er zusammen mit denen anderer in Verbindung mit Zitaten verschiedener Autoren ausstellen. Den Düften der Klappen hat er bis in die Dichtung von Verlaine und Rimbaud nachgespürt. Seine Arbeit im Grenzbereich von Poesie und Pornografie legt so gerade gegenüber den jüngeren Generationen Zeugnis von einer Welt der sexuellen Begegnungen ab, die heute nahezu verschwunden ist.
Die Ausstellung "Fenster zum Klo - Public Toilets & Private Affairs" wird am Donnerstag, den 16. November um 19 Uhr im Schwulen Museum* (Lützowstraße 73, 10785 Berlin) eröffnet und ist anschließend bis zum 5. Februar 2018 dort zu sehen. Außerdem erhältlich sein wird ein Katalog, der alle von Marc Martin geführten Interviews in voller Länge enthält. (cw/pm)
Zu der Ausstellung werde ich UNBEDINGT kommen!