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St. Petersburg trauert um Jelena Grigorjewa

  • 24. Juli 2019, noch kein Kommentar

Mit Kerzen, Blumen und Plakaten erinnerten Freunde und Mitstreiter an die ermordete LGBTI-Aktivistin. Die Bundesregierung fordert eine "transparente, lückenlose und rechtsstaatlichen Standards entsprechende Aufklärung der Todesumstände".

Bis zu 100 Menschen haben am Dienstagabend in St. Petersburg bei einer recht spontan organisierten Kundgebung Abschied von der Aktivistin Jelena Grigorjewa genommen. Die 41-Jährige war am Sonntag in den frühen Morgenstunden in der Nähe ihrer Wohnung mit acht Messerstichen in den Rücken und das Gesicht getötet worden. Die am Nachmittag von einem Passanten in den Büschen einer Wohnungsanlage gefundene Leiche wies auch Spuren einer Strangulation auf (queer.de berichtete).


Der bislang unaufgeklärte Mord hatte die Szene entsetzt. "Wir werden für das getötet, was wir lieben", hieß es auf einem Plakat bei der Trauerkundgebung am Newski-Prospekt. "Verdient Liebe den Tod?" Zu der stillen Kundgebung hatten sich die Aktivisten mit Plakaten in leichten Abstand zueinander gestellt, weil das nach russischem Recht keine Genehmigung benötigt. Die Polizei ließ die Kundgebung gewähren - ähnliche Aktionen von LGBTI hatte sie in der Stadt immer wieder aufgelöst, so wurde etwa auch Grigorjewa in April bei Einzelprotesten gegen die Unsichtbarmachung von Homo- und Transsexuellen festgenommen (queer.de berichtete).

Es war nicht ihre einzige Festnahme, seitdem sie vor wenigen Jahren von Nowgorod nach St. Petersburg gezogen war. Die Aktivistin engagierte sich beim "LGBT Network" und der "Hetero- und LGBT-Allianz für Gleichberechtigung", aber auch für Tierrechte, gegen Folter oder für Krimtataren. Die Mutter einer 20-jährigen Tochter hatte sich Anfang des Jahres öffentlich als bisexuell geoutet.


"Sie wurde regelmäßig von Homophoben in der Öffentlichkeit und im Internet wegen ihrer sexuellen Orientierung und öffentlichen Aktivitäten bedroht", hatte die Allianz in einer ersten Stellungnahme betont. Ein befreundeter Menschenrechtsaktivist, Dinar Idrisow, betonte, die Aktivistin habe deswegen mehrfach Anzeigen gestellt, die Polizei aber nicht reagiert. Aus der Polizei hieß es in den letzten Tagen gegenüber Medien, Grigorjewa habe sich nur mit Sorgen aus dem privaten Umfeld an die Behörden gewandt, darunter mit einer Anzeige über eine Vergewaltigung. In keiner Beschwerde sei es um Todesdrohungen gegangen - befreundete Aktivisten und Anwälte stellen das anders dar.

Nach eigenen Angaben sucht die Polizei derzeit weiter vor allem im persönlichen Umfeld der Aktivistin nach Verdächtigen. Es könnten auch mehrere Täter gewesen sein, so die Polizei. In der Tatnacht sei Grigorjewa mit einer Frau und vier Männern beim Alkoholkonsum an einer Parkbank beobachtet worden. Ein Verdacht gegen einen zunächst festgenommenen 40-Jährigen habe sich nicht bestätigt.


Wie mehrere lokale Online-Medien (Paper, The Village) zusammentrugen, habe Grigorjewa mehrere Bedrohungen erhalten, etwa nach ihrem Coming-out durch Nachbarn oder auch durch ehemalige Freunde, die teilweise aus dem nationalistischen Umfeld stammen, in dem sie sich ursprünglich engagiert hatte. Einige Nationalisten hätten sie erst kürzlich verprügelt, so ein Freund. Auch ein stadtbekannter Aktivist gegen LGBTI-Rechte, Timur Bulatow, habe sie bedroht - dieser freute sich in sozialen Netzwerken, durch den Mord seien seine Gebete erhört worden. Eine spontane oder privat begründete Tat könne man nicht auschließen, aber einen Zusammenhang mit Grigorjewas Aktivismus und sexueller Orientierung halten Aktivisten und ihre Freunde dennoch für am wahrscheinlichsten.

Dazu gesellt sich der Umstand, dass Grigorjewa seit ihrem Coming-out auf einer angeblichen Todesliste mit Namen und teilweise Adressen von LGBTI-Aktivisten aus ganz Russland geführt wurde. Die Webseite, die unter Berufung auf die Horror-Film-Reihe "Saw" und mit dem Schlagwort "Das Comeback von Tschetschenien" zu Taten gegen eine angebliche Belohnung aufrief, ging wenige Tage vor dem Mord vom Netz. Seit ihrer ersten Veröffentlichung im April 2018 (queer.de berichtete) galt sie als eine Art Phantom unbekannten Ursprungs mit unklarer tatsächlicher Bedrohungslage: Mehrfach wurden Aktivisten oder Szeneverbände aufgefordert, die Arbeit einzustellen, da es ansonsten zu Gewalt kommen werde. Anzeichen für tatsächliche Taten habe man bisher nicht gefunden, so das LGBT Network; die Seite diene wohl vor allem der Einschüchterung und der Verbreitung von Hass. Entgegen manchen internationalen Medienberichten wird daher eher nicht mit einem Zusammenhang mit dem Mord gerechnet. Aus seinem Anlass fordertern der Verband und weitere Aktivisten die Behörden allerdings erneut auf, die Autoren der Seite und deren Hintergründe ausfindig zu machen.


Natürlich fordern die Aktivisten von den Behörden auch eine umfassende Aufklärung des Mordes, machen sich aus alltäglicher Erfahrung allerdings wenig Hoffnung darauf. Inzwischen werden sie von der Bundesregierung unterstützt: Deutschland erwarte eine "transparente, lückenlose und rechtsstaatlichen Standards entsprechende Aufklärung der Todesumstände", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Mittwoch in Berlin laut der Nachrichtenagentur AFP. Russland müsse sicherstellen, dass "unvoreingenommen in alle Richtungen" ermittelt werde. Die Bundesregierung sei "sehr besorgt" angesichts der Todesumstände der Aktivistin, sagte der Außenamtssprecher weiter. Als Fürsprecherin für LGBT-Rechte sei sie besonders "Anfeindungen und Drohungen" ausgesetzt gewesen. Es müsse auch geklärt werden, ob der Mord im Zusammenhang mit ihrem Engagement stehe.

Man habe viele Beileids- und Solidaritätsbekundungen aus dem Ausland erhalten, freute sich die "Straight Alliance for Equality" am Mittwoch. Zugleich wollten Menschen im Inland in den nächsten Tagen weitere Mahnwachen in diversen Städten abhalten, "weil sie einfach nicht mehr schweigen dürfen".


Die Mahnwache in St. Petersburg ging am späteren Dienstagabend an der Alexandersäule vor dem Winterpalast weiter, wo in der Vergangenheit mehrfach LGBTI-Aktionen wie der CSD von der Polizei aufgelöst wurden. Pride-Organisator Juri Gawrikow hatte am Montag den diesjährigen CSD für den 3. August angekündigt. Wenig später wurde der Tod Grigorjewas bekannt. (nb)


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