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Jerusalem Pride trotzt Corona und Bedrohungen
- 04. Juni 2021, kein Kommentar

In Jerusalem sind zwei Wochen nach Ende des jüngsten Gaza-Krieges 7.500 Menschen unter hohen Sicherheitsvorkehrungen für die Rechte von LGBTI auf die Straße gegangen.
Nachdem im vergangenen Jahr die Parade aufgrund der Coronapandemie ausfallen musste, konnten sich in diesem Jahr auch wegen der starken israelischen Impfkampagne Tausende in Jerusalem versammeln. Ohne Masken, jedoch unter starken Sicherheitsvorkehrungen, zog die Parade am Donnerstag mit einer eher kämpferischen als ausgelassenen Stimmung durch die als besonders konservativ und religiös geltende Stadt.
Zum Auftakt gedachte die Veranstaltung Shira Banki. Das damals erst 16-jährige Mädchen war von einem ultra-orthodoxen Juden auf der Parade des Jahres 2015 erstochen worden. Den Täter hatte man erst kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassen, in dem er eine Strafe wegen eines vorherigen Angriffs auf die selbe Parade abgesessen hatte. Sechs Jahre nach dem tödlichen Anschlag sicherten auch in diesem Jahr wieder tausende Beamt*innen die Demonstrant*innen ab. Am Ort der Attacke erinnerte ein großes Plakat an die Ermordete. Auch wegen der Coronapandemie endete die am Liberty Bell Park gestartete Demonstration nach zweieinhalb Kilometern am Unabhängigkeitsplatz ohne eine anschließende Party.
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Die Jerusalemer Pride Parade steht traditionell im Schatten der auch international vielbeachteten Parade in Tel Aviv, die eingebettet in eine ganze Veranstaltungswoche als ausgelassene Party in der liberalen Küstenmetropole mit ihren berühmten Sandstränden begangen wird. Ganze 250.000 Menschen nahmen 2019 an dem Event teil. Die ursprünglich für kommende Woche geplante Pride Week in Tel Aviv war jedoch Anfang Mai wegen der Coronapandemie auf das Ende des Sommers verschoben worden.
Drohungen und Gegenprotest von rechts
Am Rande der Jerusalemer Veranstaltung protestierten einige Anhänger*innen der rechtsextremen Lehava-Bewegung, die offiziell gegen eine "Assimilierung" zwischen Jüd*innen und Nicht-Jüd*innen kämpft, jedoch ideologische und personelle Verbindungen zu Bestrebungen aufweist, die Demokratie abzuschaffen und aus Israel eine religiöse Theokratie zu machen. 2014 verübten Mitglieder der Gruppe einen Brandanschlag auf eine bilinguale Jerusalemer Schule, in der jüdische und arabische Kinder gemeinsam unterrichtet werden.
Zwei Jugendliche wurden am Rande von der Polizei festgenommen, die Protestschilder gegen die Parade aufgehangen hatten. Bei ihnen wurden Dutzende weiterer Schilder entdeckt. Außerdem war bereits am Mittwoch ein Mann festgenommen worden, der gedroht hatte, Teilnehmer*innen zu töten. Ein Gericht ordnete seine vorläufige Festsetzung bis nach der Parade an. Der polizeibekannte Mann sei bereits in der Vergangenheit mit Drohungen aufgefallen und leide an psychischen Problemen, hieß es.
Unruhige Zeiten in der Nahost-Demokratie
Israel befindet sich innenpolitisch in einem historischen Transformationsprozess, da in der nächsten Woche wahrscheinlich der langjährige Premier Benjamin Netanjahu von einer breit aufgestellten, neuen Regierungskoalition unter Führung von Jair Lapid der liberalen Partei Jesch Atid abgelöst wird. Unter den neuen Partner*innen, darunter auch rechte jüdisch-nationalistische Parteien sowie erstmals eine islamisch-konservative Partei der arabischen Minderheit, ist bereits Streit über den Umgang der zukünftigen Koalition mit LGBTI-Themen ausgebrochen. So scheint es weiter keine Mehrheit für die Einführung staatlicher Eheschließungen für homo- und heterosexuelle Paare zu geben. In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Neuwahlen ohne klare Mehrheitsverhältnisse gegeben. In den Kabinetten von Netanjahu blockierten Regierungspartner immer wieder alle möglichen Gesetzesinitiativen zu LGBTI-Rechten.
Erst zwei Wochen vor der Parade in Jerusalem war der neueste Schlagabtausch zwischen Israel und der islamistischen Hamas durch eine bis heute haltende Waffenstillstandsvereinbarung beendet worden. Sowohl vor als auch nach dem Konflikt hatte es Proteste von arabischer Seite mit massiven Ausschreitungen in den Straßen Jerusalems gegeben. Die Stadt war auch vom Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen betroffen gewesen. (jk)