
https://queer.de/b?3708
Der schwule Intellektuelle und seine proletarische Mutter

- 06. März 2022, kein Kommentar
Falk Richter hat am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg die deutschsprachige Erstaufführung von "Die Freiheit einer Frau" nach dem gleichnamigen Buch des französischen Autors Édouard Louis herausgebracht.
Der schwule Regisseur inszenierte das Stück am Samstagabend als kurzweiliges, vielschichtiges Kaleidoskop einer prekären Frauenbiografie. Früh mit fünf Kindern gesegnet aber ohne Berufsausbildung durchlebt die Mutter von Édouard Louis gleich zwei katastrophale Ehen hintereinander, angefüllt mit Alkohol, Gewalt und Demütigung. Gespielt wurden die jüngere und ältere Version der Mutter von Josefine Israel und Eva Mattes.
Paul Behren verkörperte eindringlich das Alter Ego des Autors, der sein Aufwachsen in Armut, seine späte Selbstakzeptanz als homosexueller Mann, das ambivalente Verhältnis zur lange distanzierten Mutter und seinen Aufstieg zum gefeierten Autor und intellektuellen Gesprächspartner reflektiert.

Bild: Denis "Kooné" Kuhnert
Souverän nutzte Falk Richter alle Mittel des Theaters, um von Geschlechterrollen, Identität und Klasse zu erzählen. Spielszenen werden auf einer Leinwand vergrößert. Die Musikerin Bernadette La Hengst steuerte mit einer dreiköpfigen Band schneidige Rock-Songs bei, die dem Abend streckenweise Musical-Charakter verleihen.
Am Ende sitzt Eva Mattes als zwar aus der Ehe nach Paris und in die Freiheit, nicht aber ihrer Klassenprägung entkommene Mutter vor einem Triumphbogen mit der Aufschrift "Metamorphose". Beim Schlussapplaus trug das Ensemble Tücher in den ukrainischen Nationalfarben Blau und Gelb, auf der Leinwand stand zu lesen: "Stop the war" (Beendet den Krieg).
Die nächsten Vorstellungen sind am 8. und 19. März sowie am 6. und 16. April 2022. Mehr Infos zum Stück gibt es auf der Schauspielhaus-Homepage. (cw/dpa)
Mehr zum Thema:
» Fabian Schäfer über "Die Freiheit einer Frau": Der Schwule, der sich für seine Mutter schämte (09.11.2021)