Das ZDF sucht in einer Casting-Show den nächsten jungen Kanzler per Telefonvote – auch schwule Kandidaten bringen sich in Stellung.
Von Dennis Klein
Ob Sänger, Models oder Drag Queens – die Fernsehsender casten gerne und viel. Jetzt versucht es das ZDF im Superwahljahr mit dem Kanzler-Casting, und das ganz ohne langweilige Parteien oder etablierte Politiker. Über 2.500 Möchtegernkandidaten haben sich Anfang des Jahres beim Mainzer Sender für die Show "Ich kann Kanzler" beworben. Die Kandidaten mussten lediglich zwei Voraussetzungen erfüllen, mit denen allerdings die große Mehrheit der ZDF-Zuschauer schon Probleme haben dürften: Sie mussten politisch interessiert und zwischen 18 und 35 Jahre jung sein. Der Sender wählte die 40 heißesten zukünftigen Kanzlerinnen oder Kanzler aus – das gemeine Volk kann sie jetzt bei www.kanzler.zdf.de von vorne und hinten begutachten.
Am 18. Juni kommt es dann zur Vorausscheidung im ZDF, einen Tag später dürfen sich die vier besten Kandidaten – wie gehabt – einer dreiköpfigen Jury und den Fernsehzuschauern stellen. Die kritischen Polit-Bohlens sind Anke Engelke, Günter Jauch und Henning Scherf, der ehemalige SPD-Bürgermeister von Bremen. Moderieren wird die Show "Heute"-Veteran Steffen Seibert.
Unter den letzten 40 Kandidaten ist auch Jörg Steinert, der Bundesjugendbeauftragter des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD). Der 27-Jährige tritt an mit dem Slogan "Demokratie verpflichtet" und kritisiert – gefährlich, gefährlich – sogleich einen der Juroren: "Wie kann man in einer multikulturellen Stadt wie Berlin gegen ein gemeinsames Schulfach Ethik sein?", fragt er in den Richtung von Günter Jauch, der beim Berliner Volksentscheid für "Pro Reli" und gegen das Fach Ethik wirbt. Der LSVD tritt dafür ein, Ethik weiterhin als Pflichtfach zu erhalten, da hier 90 Prozent der Aufklärungsveranstaltungen in der Schule stattfänden (queer.de berichtete). Die Abstimmung findet am kommenden Sonntag statt. Auch eine Patin unterstützt Steinert: Die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete unterstützt den "Schwulenaktivisten", weil er "soziales Einfühlungsvermögen, wirtschaftliches Verständnis und politisches Geschick" besitze.
Auch andere Kandidaten erwähnen Homo-Rechte, am meisten noch Ralf Braun, seines Zeichens Kaufmann der Parfümbranche. Sein Slogan riecht nach mehr: "Ich bin gut und das ist auch schwul so". Der 34-Jährige berichtet vor allem von seinen Erfahrungen aus seinem "generationen- und lebensformübergreifenden Wohnprojekt", mit dem Vorurteile abgebaut werden könnten. Besonders nah steht er den Sozialdemokraten: "Ich mag bei der SPD das Engagement und die Beachtung homosexueller Menschen".
Die Sendung ist übrigens kein ZDF-Gewächs, sondern stammt ursprünglich aus Übersee: "Canada’s Next Great Prime Minister" heißt das Original, zu dem sogar nur 18 bis 25-Jährige eingeladen werden. Der Sender CBC hat offenbar ein besseres Händchen bei der Auswahl der Juroren: Hier treten vier ehemalige Premierminister an und keine Showmaster oder Bürgermeister mittelgroßer Städte.
Würde ein Dieter Bohlen die 40 Kandidaten begutachten, käme wohl eine bunte Aufreihung von Schimpftiraden auf sie zu. Manchmal ist tatsächlich schwer zu erkennen, ob die Kandidatur ernst gemeint ist oder Satire. Wie etwa die 18-jährige Gymnasiastin Anne Daehre, die wohl nicht Deutsch als Leistungskurs belegt hat: "Mich fasziniert die Möglichkeit mein Vaterland in seiner Komplexenstrucktur … stark zu machen." Die Kreisvorsitzende der Jungen Liberalen fährt fort: "Mein Vaterland brauch mich als nächste Bundeskanzlerin." Oder auch Tobias Kurzmaier mit seinem putzigen Vorstellungsvideo: Er sitzt adrett mit Anzug und Krawatte an einem Tisch, auf dem er fein säuberlich die Deutschland-Fahne und eine gerahmte Autogrammkarte von Franz-Josef Strauß platziert hat. Dann erzählt er die rührige Geschichte, wie er bereits im Alter von acht oder neun mit einem Strauß-Button in die Schule ging und seine arme Deutschlehrerin schockte. Hier wäre ein Bohlen-Spruch á la "da gucke ich doch lieber Fußpilz beim Wachsen zu" willkommen.