Die Behörden wollen das Verbot einer schwulen Demonstration am Tag des Eurovision Song Contest mit allen Mitteln durchsetzen. Die Organisatoren bitten um Unterstützung – doch auf die ist kein Verlass.
Von Norbert Blech
Die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti berichtet, die Moskauer Stadtverwaltung habe ein hartes Vorgehen gegen Menschen angekündigt, die am 16. Mai für die Rechte von Lesben und Schwulen demonstrieren wollen. Wie in den letzten Jahren ist der Protestmarsch offiziell verboten worden.
Der Organisator Nikolai Aleksejew von Gayrussia.ru hatte sich gezielt den Tag des Finales des Eurovision Song Contest ausgesucht, um erstmals mit Schwulen und Lesben aus Weißrussland zusammen zu demonstrieren – unter dem neuen, auch von Rechten genutzten Namen "Slavic Pride". Laut RIA Novosti hat der Verwaltungssprecher Leonid Krutakow nun ein hartes Vorgehen angekündigt: "Alle Durchführungsversuche werden von den Behörden mit allen Mitteln gestoppt".
Krutakow gab an, es liege kein Antrag auf Genehmigung vor – in Wirklichkeit hatte das Rathaus die Veranstaltung wie auch in den Jahren zuvor verboten. Erst im März hatte Moskaus Polizeichef Wladimir Pronin Homo-Demos als "nicht akzeptabel" bezeichnet. Zu der Demo würde sich ohnehin niemand trauen, denn diese Mutigen würden "in Stücke gerissen". "Der Westen kann uns als Bad Guys bezeichnen, aber unsere Leute werden sehen, dass es richtig ist, was wir machen", so Pronin, der dem Innenministerium untersteht, aber auch die Rückendeckung des Moskauer Bürgermeisters hat.
Juri Luschkow ist einer der Hardliner gegen die "satanischen" Proteste von Lesben und Schwulen. Selbst bei einer offiziellen Pressekonferenz zum Eurovision Song Contest konnte der 74-Jährige nicht an sich halten, bei einer Frage eines Journalisten zu schwulen Besuchern des Grand Prix: "Sie können Spaß haben, kein Problem, aber nicht auf den Straßen und Plätzen marschieren oder demonstrieren. Wir verbieten ihnen nichts, außer öffentlichen Aktionen. Wir erlauben keine Schwulenparaden." (queer.de berichtete) Eine Äußerung, die die offizielle Eurovisionsseite so zusammenfasste, dass der Bürgermeister alle Besucher willkommen heißt.
Die Paraden hatten in den letzten Jahren immer zu Gewalt geführt: Teilnehmer aus dem In- und Ausland wurden von Polizei und Gegendemonstranten verprügelt, viele verhaftet; darunter auch der deutsche Politiker Volker Beck, der britische Schwulenaktivist Peter Tatchell und der Sänger von Right Said Fred (alle Berichte). Was traurig stimmt: es gibt in Moskau durchaus eine große Schwulenszene. Einheimische Schwule haben sich jedoch mehr oder weniger gut mit einem Doppelleben arrangiert und sind auf die Proteste und die Unterstützung aus dem Ausland oft nicht gut zu sprechen.
Dabei stockt die institutionelle Unterstützung aus dem Ausland. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat erst im März beschlossen, Klagen der Organisatoren nicht dringlich zu behandeln – es geht um bisher insgesamt 167 Demo-Verbote beginnend mit dem Jahr 2006 (zu einem ähnlichen Verbot in Warschau hatte der Gerichtshof innerhalb von 18 Monaten entschieden). Die Organisatoren hatten auch ein Schreiben an die Regierungschefs von Spanien und Slowenien geschrieben, zwischen denen derzeit der Vorsitz des Europarats wechselt, ebenso wie 22 Mitglieder des Europaparlaments – bisher ohne Ergebnis.
Interessierte an dem Protestmarsch können Details per eMail an contacts at gayrussia.ru erfahren. Die Organisatoren wenden sich derzeit an Zuschauer und Teilnehmer der Show mit der Bitte, Regenbogen- statt Nationalflaggen in die Kameras zu winken und als Protest Pins des Slavic Pride zu tragen – ESC-Teilnehmern sind allerdings "Lyrics, Ansprachen und Gesten einer politischen oder ähnlichen Natur" laut den Regeln verboten.
Großes Kino wie in Peking
Ob der Bitte viele Leute nachkommen, darf ohnehin bezweifelt werden. So fehlt es etwa an offizieller deutscher Unterstützung. Thomas Schreiber, Unterhaltungschef vom NDR, freute sich in einem Interview auf Moskau und vergleicht Russland mit anderen erfolgreichen Demokratien: "Die Russen werden sich ein bisschen an der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking orientieren. Und sie werden richtig großes Kino veranstalten." Moskau sei "eine Stadt voller Lebenslust, voller Hunger auf Leben, mehr noch als in New York. Deutschland in Moskau zu vertreten, ist erstens eine große Ehre, zweitens kann das eine ziemlich tolle Party werden, drittens muss der deutsche Auftritt dort richtig einschlagen." Ex-Modern-Talking-Star Thomas Anders, der als Nachfolger von Thomas Hermanns die Gala "Countdown für Moskau" moderiert, sagte der DPA, ihm sei die Verbindung zwischen dem Wettbewerb und Schwulen "immer ein Rätsel" gewesen. "Ich habe aber nicht das geringste Problem damit". Anders zeigte auch Verständnis für den Ausschluss von Georgiens umstrittenem Beitrag "We Don't Wanna Put In": "Ich bin gegen die Vermengung von Politik und Unterhaltung."
Der schwule "taz"-Journalist Jan Feddersen, der für den NDR den Grand Prix offiziell begleitet, schrieb zu den Äußerungen des Moskauer Bürgermeisters in seinem aus Gebührengeldern finanzierten ESC-Blog: "Im Übrigen wird auch Luschkow nicht verhindern, dass der ESC auch immer ein Woodstock der europäischen Queers ist. Dass sie sich in Moskau nicht mehr so herzhaft mit Wangenküsschen begrüßen werden, ist wahrscheinlich verschmerzbar." Wobei Feddersen in der "taz" ansonsten auch gerne kritisiert, dass Orte in Berlin für Schwule angeblich zu "No-go-Areas" werden: "Das Problem wird tabuisiert, seine Thematisierung ist politisch nicht korrekt. Stattdessen wird gefragt: Sind die Angegriffenen zu offen mit ihrer sexuellen Identität umgegangen?"
Feddersen, der ein populäres Buch über den ESC verfasst hat, war übrigens auch der Meinung, dass die ESC-Bosse richtig handelten, als sie den georgischen Beitrag – "We Don't Wanna Put In" – disqualifizierten (queer.de berichtete): "Ich finde: Kein Land wäre locker genug, einem Act Gastfreundschaft zu erweisen, der das eigene politische Spitzenpersonal einer so offensichtlichen Spottkritik unterzieht. Georgien, so sehe ich das, hat sich den Schlamassel selbst zuzuschreiben." Konsequenterweise hatte er in einem Eintrag zuvor das Gegenteil geschrieben: "Ich finde: Man soll es nicht disqualifizieren".
Und als beim russischen Vorentscheid mit Boris Mojiseew auch ein Schwuler antrat, durfte dieser sich auf die Nicht-Unterstützung von Feddersen verlassen: "Es hat auch einen leicht seltsamen Beigeschmack, dass schwule Künstler nun ihre sexuelle Orientierung so aufmerksamkeitsförderlich in den Mittelpunkt stellen. Ich war immer dafür, nicht zu verschweigen, was Tatsachen sind. Aber Homosexualität als Reklamemoment zu zeigen, ist ungefähr so, als sagte einer: Ich habe zwar kein Talent, aber da ich diskriminiert bin, müsst ihr auch meine Nichttalente wertschätzen. Verkehrte Welt!" Zwei Beiträge zuvor hatte Feddersen vorgeschlagen, als deutschen Beitrag Uschi Blum nach Moskau zu schicken. Und wenig später gab der deutsche Beitragssinger Oscar Loya seine Homosexualität bekannt (queer.de berichtete), in der "Bild"-Zeitung, was demnach wohl mehr auf PR als auf Emanzipation zielte.
Schwule und das Rückgrat
Elmar Kraushaar, die abweichende Homo-Meinung in der "taz", zeigte sich darauf in seiner Kolumne über seinen "taz"-Kollegen und alle anderen Schwule erzürnt: "Dabei sind – und das ist selten genug – die Schwulen beim ESC eine Macht. Ohne sie geht gar nichts. (…) Sie lieben die große Geste und den kräftigen Gesang, aber – das weiß man auch – nicht den lauten Protest, die schwulen Festivalfans sind mehrheitlich unpolitisch und fühlen sich nur ihren Idolen verpflichtet – kein Gedanke an Boykott. Mit schlechtem Beispiel voran ging bei der Luschkow-PK die prominenteste Tunte Osteuropas, Popstar Philip Kirkorov. Interessiert hörte er dem Bürgermeister zu und widersprach an keiner Stelle." Kraushaars Urteil: "Der homosexuelle Mann hat kein Rückgrat".
In einer queer.de-Umfrage hatten sich kürzlich 51,4 Prozent der User für einen Boykott des ESC ausgesprochen. Teilgenommen hatten 397 Nutzer – bei anderen Umfragen, etwa zum Thema Oralsex oder DSDS-Favoriten hatten deutlich mehr teilgenommen. Bezüglich internationaler Unterstützung gibt sich Pride-Organisator Nikolai Aleksejew realistisch. Dem ESC-Blog des Vorwärts sagte er: "Ich halte Boykottieren für nicht effektiv. Das wirkt nur, wenn jeder mitmacht."
facettenreich. großes lob !
"Der homosexuelle Mann hat kein Rückgrat".
welcher ?
der völklinger greis ?
der lustknabe am bahnhof ?
der rosa papi ?
die polit-quoten-schwuchtel ?
der zeilengroschenjunge ?
der schwule hofnarr ?
die betschwester ?