Rund 40 Schwule und Lesben wollten in Moskau mit einem CSD ein Zeichen setzen und wurden vorzeitig verhaftet. Während diese noch immer auf die inzwischen erfolgte Freilassung warteten, feierten tausende Schwule und Lesben die "größte Schwulenparade der Welt", wie Sieger Alexander Rybak den Eurovision Song Contest bezeichnete. Slowenien äußert Kritik, Berlin demonstriert.
Von Norbert Blech
Rund 40 Teilnehmer hatten sich am Samstag zusammengefunden, um für mehr Rechte von Lesben und Schwulen zu demonstrieren (queer.de berichtete den ganzen Tag über in einem Ticker). Da der "Slavic Pride", der Aktivisten aus Russland und Weißrussland vereinen sollte, vorab verboten und eine Gegendemonstration von Extremisten erlaubt worden war, hielten die Veranstalter eine Kundgebung früher und an einem anderen Ort als angekündigt ab. Die Polizei hatte jedoch Vertreter in Zivil und von der Sondereinheit OMON geschickt und unterbrach diese innerhalb weniger Minuten und verhaftete die Teilnehmer. Auch später eintreffende Aktivisten, denen es gelungen war, Sperren der Zivilpolizei zu umgehen und die dann der Presse Interviews gaben, wurden verhaftet. Die Verhaftungen geschahen mit Druck, aber nicht übertrieben brutal. Eine russische Journalistin wurde allerdings wegen einer Gehirnerschütterung behandelt.
An einem anderen Platz in der Innenstadt gingen Gegendemonstranten auf einen Schwulen los, die Polizei verhaftete offenbar auch hier friedvolle Schwule und einige Gegendemonstranten. Die "Frankfurter Rundschau" berichtet zudem von der Festnahme eines 16-Jährigen mit Luftballons, der mit drei Freundinnen auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier war und für schwul gehalten wurde. Da zu diesem Zeitpunkt viele Plätze in der Innenstadt gesperrt worden waren, kam es zu keinem weiteren Protest - obwohl einige wenige Besucher des Eurovison Song Contest durchaus ein Zeichen setzen wollten.
Eurovision auf der Polizeistation
Unter den rund 40 Verhafteten war der britische Schwulenaktivist Peter Tatchell - der als erster die Polizeistation verlassen konnte. Dies habe er dem Eingreifen der britischen Botschaft in Moskau zu verdanken, erklärte er der Nachrichtenagentur Reuters. Einige Stunden später wurden weitere Teilnehmer (mit einer Verwarnung) freigelassen, darunter ein amerikanischer Aktivist und alle Festgenommenen aus Weißrussland, doch sieben Russen mussten die lange ESC-Nacht in der Zelle verbringen.
Am Sonntag nun wurden alle auf freien Fuß gesetzt, auch der CSD-Organisator Nikolai Aleksejew, der fast 24 Stunden lang keinen Kontakt zur Außenwelt hatte. Die Männer waren am Sonntag morgen noch vor einen Richter gebracht worden, aus der nicht öffentlichen Verhandlung wurde inzwischen bekannt, dass alle eine Geldstrafe von 500 Rubel (rund 12 Euro) wegen der Teilnahme an der Aktion bekommen haben. Wegen der Organisation der verbotenen Demonstration soll Nikolai Aleksejew in einem weiteren Prozess verurteilt werden.
Er sei sechs Stunden lang verhört worden, auch von Mitarbeitern des Inlandsgeheimdienstes FSB, sagte Aleksejew der Nachrichtenagentur AFP. Die Nacht habe er dann in einer kalten Zelle mit zerbrochenen Scheiben zubringen müssen. Die Verhafteten seien "sehr schlecht" behandelt worden, sagte Alexejew; er sei großem psychischem Druck und "jeder Art" von Beleidigungen ausgesetzt gewesen.
Inzwischen hat sich Slowenien diplomatisch eingebracht - das Land hält seit wenigen Tagen den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates. Das Außenministerium in Ljubljana verbreitete folgendes Statement: "Menschen, die einer sexuellen Minderheit angehören, haben das gleiche Recht auf Freie Meinungsäußerung und das gleiche Versammlungsrecht wie alle anderen Personen innerhalb der Jurisdiktion des Europarates." Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dürften keine friedvollen Demonstrationen verboten werden. "Der Fakt, dass das nicht das erste Jahr ist, in dem sich diese Situation entwickelt, erfüllt den Vorsitzen des Ministerkomitees des Europarates mit Sorge", so Außenminister Samuel Žbogar diplomatisch deutlich.
Zum Internationalen Tag gegen Homophobie an diesem Sonntag hat auch die EU die Diskriminierung von Schwulen und Lesben scharf verurteilt - allerdings allgemein. Die Feindlichkeit gegen Homosexuelle sei eine "himmelschreiende Verletzung der Menschenwürde", erklärte die tschechische EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel (Text). Russland ist nicht Teil der EU, aber des Europarats.
Youtube | Bericht der Associated Press
Eurovision vor dem Fernseher
Der große Teil der Welt hatte sich nach den ersten Berichten über die Niederschlagung des Protests wieder dem Lieder-Wettbewerb zugewandt. Gewonnen hatte in der Nacht der norwegische Beitrag von Alexander Rybak, dem Zac Efron des Eurovision Song Contest. Bei der Pressekonferenz nach seinem Sieg sagte er auf die Frage eines vermutlich homosexuellen Journalisten, was er von der Aktion der Lesben und Schwulen und dem Einsatz der Polizei halte: "Ich möchte einen Witz darüber machen: Ich war nicht derjenige, der sie verhaftet hat. Aber das ist nichts, worüber man Witze macht. Ich habe die ganze Woche über gesagt: es ist sehr schade, dass sie all die Energie für die Parade heute genutzt haben, während die größte Schwulenparade heute Nacht war." (Der Ausschnitt als Video, ab ca. 3:00)
Dabei setzte in der gesamten Sendung kein einziger der Beteiligten ein Signal der Solidarität, wie es sich der CSD-Organisator vorab gewünscht hatte: keine Regenbogenflagge, kein CSD-Pin waren zu sehen. Lediglich in der ARD-Sendung vor dem Grand Prix war Kritik spürbar: Guildo Horn hielt aus eigenem Antrieb ein angemessenes Wort zum Sonntag ab (obwohl er seine Single "Moskau" promoten wollte), und ein paar Schwule waren spontanen, u.a. auf queer.de verbreiteten Aufrufen gefolgt und wedelten Regenbogenflaggen von der Terasse des Schmidt Theaters. Auf die Besucher des ESC in Moskau ist Aleksejew nicht mehr gut zu sprechen: "Sie kehren morgen in ihre toleranten Rechtsstaaten zurück", sagte er der "Frankfurter Rundschau", "und ich hoffe, sie werden sich schämen."
Demo und Küsse in Berlin
In Berlin haben am Sonntag ca. 80 Menschen auf einer von Bündnis 90/Die Grünen angemeldeten Spontandemo vom Brandenburger Tor zur russischen Botschaft gegen die gewaltsame Auflösung des Moskauer CSD durch Sondereinheiten der Polizei protestiert. Am Brandenburger Tor hatte zuvor eine Aktion des LSVD für die Aufnahme von Lesben und Schwulen ins Grundgesetz stattgefunden. Vor der russischen Botschaft forderte Thomas Birk, lesben- und schwulenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, die sofortige Freilassung aller Demonstranten. Er forderte den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), auf, gegen die Vorfälle in der Berliner Partnerstadt Moskau öffentlich Stellung zu nehmen. Gleiches erwarte er auch von der Bundesregierung.
Am späteren Nachmittag gab es anlässlich des Internationalen Tages gegen Homophobie auch ein Kiss-Inn in der Hauptstadt. Lesbische und schwule Paare trafen sich vor dem Mahnmal für die in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen und küssten sich.
Youtube | Aus der ARD-Show zum Eurovision Song Contest. Guildo Horn macht seine Missgunst über das Verhalten der Moskauer Polizei deutlich. Und Wladimir Kaminer seinen Missgunst, auf das Thema Homophobie in Russland angesprochen zu werden.
machen haben mutter-witz.
er hat vielleicht vater-witz