Eine Seele so krank, eine Tat so unvorstellbar. Die Geschichte des Kannibalen von Rotenburg startet jetzt doch im Kino. Ein Gericht hob das Verbot auf.
Von Christian Scheuß
"Manche Geschichten sollten nie erzählt werden" heißt es im Trailer zum Film "Rohtenburg". Ein zynisch anmutender Satz in einem Werbefilm, der ebenjene Story mit beklemmenden Bildern und deutlichen Szenen skizziert. Zynisch vor allem, wenn man das gerichtliche Hickhack um diesen Thriller mitbekommen hat. Armin M., der echte Kannibale von Rotenburg, dessen Geschichte hier nacherzählt wird, hat drei Jahre lang versucht, seine Persönlichkeitsrechte durchzusetzen. Zuletzt unterlag er vor dem Bundesgerichtshof. Der Filmverleih wollte die Geschichte selbstverständlich erzählen, und ging durch alle Instanzen.
Nun wird also die deutsch-amerikanische Produktion ab dem 18. Juni im Kino zu sehen sein. Um dem Zuschauer einen leichteren Zugang zum grausamen Geschehen zu ermöglichen, wird die Story aus Sicht einer amerikanischen Kriminalpsychologin erzählt, die für ihre Abschlussarbeit die Hintergründe zu einem Mordfall in Deutschland recherchiert. Über das Internet hatte ein Mann ein männliches Opfer gesucht, mit dem er erst Sex haben wollte, und den er danach hinrichtete und teilweise verspeiste. Die Psychologin stößt bei ihrer Suche auf Videobänder, die alle Details des Geschehens zeigen. Der Kannibale und sein lebensmüdes Opfer hatten ihr Vorhaben aufgezeichnet.
Armin M., der als "Kannibale von Rotenburg" in die deutsche Kriminalgeschichte eingegangen ist, stand zur Zeit der geplanten Veröffentlichung von "Rohtenburg" noch vor Gericht. Und genau deshalb hatte er durch seine Anwälte eine einstweilige Verfügung durchsetzen lassen. Er fürchtete eine negative Beeinflussung durch den Film während des Prozesses. Die Gerichte folgten der Argumentation, und werteten die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten als höher ein denn die Kunstfreiheit. Doch inzwischen ist der Prozess beendet, und der Bundesgerichtshof gab in einem Urteil Ende Mai wieder der künstlerischen Freiheit den Vorrang.
Während "Rohtenburg" ein wenig wie die deutsche Version von "Das Schweigen der Lämmer" wirkt, gelangte eine wesentlich schockierendere Version der Kannibalen-Story beinahe unbemerkt vom Mainstream und auch ohne Gegenwehr durch den wegen Mordes verurteilten Armin M. auf den Markt. Regisseur Marian Dora realisierte 2005 "Cannibal", eine Lowbudget-Independent-Produktion, in der nicht nur der Sex zwischen den beiden Männern ohne Scham vorgeführt wird. Die anschließende Kastration, Ermordung, Ausschlachtung und der Verzehr des Opfers wird ebenso in brutaler und oft unerträglicher Offenheit gezeigt. Und auch Rosa von Praunheim, der sich in "Dein Herz in meinem Hirn" auf gewohnt trashige und ironisch-distanzierende Weise mit dem Ritualmord beschäftigt hatte, konnte seinen Film ungehindert auf diversen Filmfestivals zeigen.
Mit "Rohtenburg" hat Regisseur Martin Weiz eine sehr wackelige Gratwanderung versucht. Splatterfilme wie "Saw" oder "Hills have Eyes" funktionieren, weil der blutspritzende Horror keinen realen Hintergrund hat. Hier wird jedoch eine wahre Begebenheit erzählt. Andererseits wirkt der dokumentarische Ansatz durch die recherchierende Kriminologin zu aufgesetzt. Das Grauen braucht nicht durch die Tränenausbrüche der Psychologin unterstrichen oder durch die Rückblenden in eine traurige Kindheit des Täters erklärt werden.
Vielleicht hat der Trailer ja doch Recht: Manche Geschichten sollten tatsächlich nicht erzählt werden. Und für manche Filme muss man nicht unbedingt ins Kino.
Nach dem Motto: Schatz, ich hab dich zum fressen gern.... (Würggg)