Rund 550.000 Menschen zogen am Samstag in der Hauptstadt "Stück für Stück ins Homoglück". Am Nachmittag gab es Rangeleien, als der transgeniale CSD auf den homophoben Rapper Bushido traf. Am Abend stürmten Polizei und Ordnungsamt eine schwule Party - am vierzigsten Jubiläum von Stonewall.
Von Norbert Blech
Unter dem Motto "Stück für Stück ins Homoglück - Alle Rechte für Alle" sind am Samstag in Berlin rund 550.000 Menschen feiernd durch die Straßen Berlins gezogen. Die 31. jährliche Demonstration mit 55 Wagen zog vom Ku'Damm zur Abschlusskundgebung an der Siegessäule. Dort wurden Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und der Homo-Aktivist Helmut Graupner mit dem Zivilcouragepreis geehrt.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der auch auf dem SPD-Wagen mitgefahren war, kündigte einen Aktionsplan gegen Homophobie und für Gleichberechtigung in Berlin an: "So lange in Deutschland und Europa noch ein Mensch wegen seiner Homosexualität diskriminiert wird, werden wir auf die Straße gehen", sagte Klaus Wowereit: "Wir sind noch nicht am Ziel". Wowereit stellte sich hinter die Forderung der CSD-Veranstalter, den Schutz vor Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung ins Grundgesetz aufzunehmen.
Am Vormittag hatte es eine Gedenkfeier am Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen am Tiergarten gegeben. Die Feier musste vorzeitig beendet werden, nachdem der 96-jährige frühere KZ-Häftling Rudolf Brazda am Rednerpult gestürzt war. Brazda, der wegen seiner Homosexualität von 1941 bis 1945 im Konzentrationslager Buchenwald eingesperrt war, erlitt Kopfverletzungen und zog sich Schürfwunden zu. Wowereit, der Brazda zur Hilfe eilte, hatte zuvor eine Rehabilitierung der Männer gefordert, die bis 1969 nach dem alten Schwulenparagrafen strafrechtlich verfolgt wurden.
Bushio? Nein Danke!
Am Nachmittag zogen zugleich rund 2.000 Menschen durch Kreuzberg, beim transgenialen CSD vom Boxhagener Platz zum Fest an der Oranienstraße unter dem schönen Motto "Toleranz? Nein Danke! Glitter ohne Grenzen!" Am U-Bahnhof Schlesisches Tor kam es zu einem zufälligen Zusammentreffen mit dem Rapper Bushido, das in einer Rangelei endete. Der Rapper saß mit Freunden an einem Imbiss und soll Demo-Teilnehmer homophob beschimpft haben, worauf Demonstrationsteilnehmer Bushido mit einem Getränk beschüttet hätten, berichten Indymedia, einige Blogs und die "Berliner Morgenpost" (letztere mit Bildern des Vorfalls). "Freunde des Rappers sollen daraufhin die Demonstranten mit Glasflaschen beworfen und sogar mit einer abgeschlagenen Glasflasche bedroht haben. Damit die Situation nicht weiter eskalierte, mussten Beamte der Berliner Polizei eingreifen", berichtet die Zeitung und berichtet von einer Anzeige gegen den homophoben Rapper wegen Beleidigung.
Der schwule Blogger Antiteilchen berichtet ebenfalls von dem Vorfall: "Der Wortführer des Hauptwagens entdeckte an einer Imbissbude am Zugweg den Rapper Bushido und begann sofort, ihn für seine Hass-Songs gegen Schwule und Lesben lautstark zur Rechenschaft zu ziehen. Es gab ein kleines Handgemenge, das die Polizei aber sehr schnell unter Kontrolle hatte." Der Rapper sei schnell eingeschüchtert gewesen und habe Polizeischutz gesucht. "Später hörten wir noch, dass einige Leute angegriffen und verletzt wurden", berichtet der Blogger, der auch Bilder von Demo und Bushido bietet.
Das "Starblog" berichtet ebenfalls, dass vom Lautsprecherwagen der Demo auf den Rapper aufmerksam gemacht wurde, der zu diesem Zeitpunkt bereits "pöbelte". Der Augenzeuge berichtet von der Eskalation: "Die DemonstrantInnen liessen sich das nicht gefallen und rückten näher, der Rapper Nyze, welcher Bushido begleitete, sprang auf und nahm eine drohende und eine situationsbedingt eher albern wirkende Haltung ein. Ob dabei Flaschen im Spiel waren oder etwas geworfen oder geschüttet wurde, konnte ich nicht erkennen." Daraufhin habe die Polizei Bushido unter massivem Einsatz von den Demonstrationsteilnehmern abgeschirmt und später zu dessen PKW begleitet.
Das Blog aus Berlin glaubt nicht an Zufall: "Ich halte den ganzen Vorfall für eine miese und schäbige Inszenierung des Deutschrappers. Mir fehlt die Vorstellungskraft, dass dieser am frühen Sonnabendnachmittag an einer schlechten Imbissbude in Begleitung von 8-10 Personen sitzt und Pommes isst - ausgerechnet dort, wo der einmal jährlich stattfindene Transgeniale CSD vorbeikommt." Für eine Inszenierung spreche, neben der auffälligen Jacke des Rappers, "dass der gesamte Vorfall von einer Person aus seiner Begleitung mit einer halbwegs professionell aussehenden Kamera gefilmt wurde".
Von der Polizei- zur Menstation
Das Blog "Samstag ist ein guter Tag" berichtet von einem weiteren unerwarteten Zwischenfall in der Nacht zum Sonntag. Zwischen 1 und 2 Uhr hätten Polizei und Ordnungsamt die schwule Bären-Party "Men Station" im LaVie in der Pariser Straße aufgesucht. Dies sei angeblich ein Einsatz des Ordnungsamtes zur Überprüfung des Nichtraucher- und Jugendschutzes gewesen, berichtet der Augenzeuge. Die Polizisten in Uniform und zivil seien grimmig gewesen und hätten Gästen keine Auskunft zu ihrem Einsatz gegeben, nach 15 Minuten seien sie weitergezogen. Es sei kein Gast kontrolliert worden, der Vorfall habe aber einen "faden Nachgeschmack" hinterlassen, kommentiert der Blogger und Autor Rainer Hörmann:
"Selbstverständlich müssen auch Kneipen von und Veranstaltungen für Homosexuelle (...) überprüft werden. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber ausgerechnet am Abend, da sich der Christopher Street Day zum 40sten Mal jährt??? Also an einem Tag, einer Nacht, in der vor 40 Jahren in New York eine Polizeirazzia in einer Schwulenkneipe stattfand, sich Schwule und Lesben erstmals wehrten und Unruhen auslösten." Es sei daher unverständlich, Polizisten in eine schwule Party "platzen zu lassen", zumal die Betreiber des (Hetero-)Clubs versichert hätten, noch nie eine solche Überprüfung erlebt zu haben. "Zur Vertrauensbildung zwischen Berlins Homosexuellen und der Polizei hat diese Aktion jedenfalls nicht beigetragen", kommentiert der Blogger.
CSD auch in Paris
Trotz der Vorfälle herrscht bei den Veranstaltern Freude über den CSD. "Ich bin überwältigt", sagte Jan Salloch, Vorstand des Vereins CSD-Berlin, der DPA. Es seien 50.000 Besucher mehr gekommen als im Vorjahr. Die Sender TIMM und TV Berlin berichteten gemeinsam von dem Event. Dabei war der Hauptstadt-CSD nicht der größte in Europa an diesem Samstag; in Paris zogen rund 700.000 Schwule und Lesben für ihre Rechte durch die Straßen. Stargast dort war Liza Minelli, die vom schwulen Bürgermeister Bertrand Delanoe mit einer innigen Umarmung zu der Veranstaltung begrüßt wurde.
Video-Galerie:
(15 Videos) Videos von Parade und Straßenfest vom Berliner CSD am 27. Juni 2009 sowie vom transgenialen CSD.