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- 29. August 2009 4 Min.
Im Interview erklärt Herbert Rusche, der 1985 als allererster offen schwuler Abgeordneter für die Grünen in den Bundestag einzog, seinen Wechsel zur Piratenpartei
Von Stefan Mey und Felix Alaze
Du hast die Grünen mit gegründet, warst für sie im Bundestag und bis 2001 Parteimitglied. Wieso bist du jetzt den Piraten beigetreten?
Ich habe die Hoffnung, dass die Piraten mit ihrem Verständnis von Transparenz und den Möglichkeiten der Kommunikationstechnik das schaffen, was die Grünen schnell haben fallen lassen: Basisdemokratie, die Leute einbinden und ihnen Mittel und Wege an die Hand geben, sich auch über das Kreuzchen alle vier Jahre hinaus zu beteiligen.
Siehst du Parallelen zwischen den beiden Parteien? Ähnlich wie den Grünen wird den Piraten vorgehalten, sie wären eine monothematische Partei und hätten nicht mehr zu bieten.
Die sehe ich. Die Grünen haben vor 30 Jahren ein Thema der Zeit, welches von den etablierten Parteien sträflich vernachlässigt wurde, aufgegriffen und sind es offensiv angegangen. Damals war das die Ökologie, bei den Piraten ist es die Informationsgesellschaft mit all ihren Möglichkeiten. Die Grünen sind damals wie die Piraten heute als Ein-Punkt-Partei, die niemand braucht, beschimpft worden. Von daher kommt mir das vor wie ein Déjà-vu.
Würdest du so weit gehen, zu sagen, dass die Piraten heute die neuen Grünen sind?
Es gibt schon bemerkenswerte Parallelen, auch, dass die die alte politische Garde heute wie damals versucht, eine neue politische Kraft von vorn herein klein zu reden, und das mit den gleichen selbstgerechten Vorwürfen. Der Unterschied liegt in den gigantischen Chancen, die die neuen technischen Möglichkeiten bieten. Als wir bei den Grünen in Hessen ein Landesprogramm erarbeitet hatten, mussten wir mit Schnipseln arbeiten, kopieren und es zwischen 3.000 Mitgliedern hin- und herschicken, damit wir wirklich landesweit diskutieren konnten. Mit Mailinglisten, Onlinekonferenzen und Wikis gibt es da heute viel effektivere Möglichkeiten.
Du warst der erste offen schwule Bundestagsabgeordnete und hast auch in der Politik offene Diskriminierung erlebt. Inwiefern findest du dich als Schwulenaktivist bei den Piraten wieder?
Es hat mich angenehm überrascht, dass die da überhaupt kein Brimborium drum herum machen. Sie sagen, wir sehen zwar, dass es da noch gesellschaftliche Missstände gibt, aber die kann man am besten durch praktizierte Gleichbehandlung auffangen. Da gibt es eine selbstverständliche Akzeptanz, die genau das ist, was wir uns in den frühen Jahren der Schwulenbewegung erträumt hatten.
Und thematisch?
Für Schwule und Lesben gilt heute wie damals, dass man große Nachteile erfahren kann, wenn man ausspioniert und die Privatsphäre verletzt wird. Ein Beispiel: Es war teilweise so, dass Leute, weil sie als Schwule zu einer so genannten Risikogruppe gehörten, Probleme hatten, Lebensversicherungen abzuschließen. Wenn da unkontrolliert Daten über Menschen gesammelt werden, stellt das nach wie vor eine Bedrohung dar. Deswegen haben Themen wie informationelle Selbstbestimmung und Überwachungsstaat für Leute, die am eigenen Leib erfahren haben, was Diskriminierung bedeutet, naturgemäß eine große Bedeutung.
Du hattest dich lange Zeit bei den Grünen heimisch gefühlt. Warum ist deine Liebe zu ihnen erloschen?
Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass es nicht mehr um eine echte Zusammenarbeit mit den Menschen geht, die die Grünen ursprünglich ins Parlament gebracht hatten. Die Grünen haben am Anfang stark auf die Basis gehört, auf Bürgerinitiativen, auf Frauengruppen, Schwulengruppen und die Anti-AKW-Bewegung. Aber schon Ende der 80er haben sie angefangen, in diesen Gruppen eine Konkurrenz zu sehen, sie haben ihre Kapazitäten eher gegen die Bewegung genutzt als dafür. Das war hochgradig unsolidarisch. Viele der frühen Idealisten haben sich frustriert von den Grünen zurückgezogen.
Was können die Piraten aus der Entwicklung der Grünen lernen?
Die Piraten können sehr gut lernen, wie man es eben nicht machen sollte, was die Fehler beim Versuch waren, mehr direkte Demokratie umzusetzen. Wir haben relativ schnell Leuten das Feld überlassen, die die ganzen Ideen, die bei den Grünen neu und einzigartig waren, zurückgeschraubt haben.
Glaubst du die Piraten können sich langfristig in der politischen Landschaft etablieren?
Ich denke schon, da die anderen Parteien genau die Fehler machen, die auch damals gemacht wurden: sie verweigern sich und bleiben stur. Das sieht man beim Umgang mit dem Internet. Man versucht nicht, das System zu verstehen und damit zu arbeiten, man versucht zu sperren und zu verhindern. Das ganze Gerede vom Internet als rechtsfreier Raum ist hilfloses Geschwätz von Leuten, die eine neue Chance nicht verstehen. Kommunikation muss frei sein.
Glaubst du mit deinen politischen Erfahrungen, dass es machbar ist, nicht nur die Politik zu verändern, sondern auch die Art und Weise wie sie gemacht wird?
Selbstverständlich. Ich verfolge mit Interesse, wie die Piraten sich Gedanken über neue Formen von Demokratie machen. Es ist wichtig, dass den Menschen, die einen konkreten Bezug zu politischen Inhalten haben, eine entsprechende Wirkungsmöglichkeit zukommt und nicht von oben nach unten verwaltet wird. Was mir sehr gut gefällt, ist, dass die Leute, die in der Technologie und der Informationsgesellschaft zuhause sind, mit den Piraten direkt in die Politik gehen, statt sich irgendwelchen Parteien zu verkaufen. Das ist es, wie ich mir Demokratie vorstelle.
Das Interview durften wir freundlicherweise von www.klarmachen-zum-aendern.de übernehmen.
Links zum Thema:
» Mehr Infos zur Herbert Rusche bei Wikipedia
» Homepage der Piratenpartei
» Homepage von Herbert Rusche
Mehr zum Thema:
» Der erste offen schwule Bundestagsabgeordnete wird Pirat (28.08.09)










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