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- 19. Oktober 2009 4 Min.
Schwule und Lesben sind Teil einer Verschwörung mit dem Ziel, die Welt zu homosexualisieren. Behauptete im Sommer der Kulturchef der "Weltwoche" in einem Debattenbeitrag, den nun die "Welt" übernommen hat. Er meint es ernst.
Von Christian Scheuß
Tja, das ist schon so ein Ding mit den Homosexuellen. Da machen die solch ein Theater in der Öffentlichkeit um die "Bedeutung sexueller Veranlagungen", dass da bei so manchem konservativ gestimmten Geist die Zornesadern anschwellen und der Angstschweiß auf die Stirn tritt. Besonders einer ist in Panik: Philipp Gut, Kultur- und Gesellschaftschef des Schweizer Wochenmagazins "Weltwoche". "Die Welt" veröffentlichte am vergangenen Wochenende seinen zuvor in der Schweiz publizierten Debatteneitrag. Oder sollte man besser sagen: seine Paranoia? "Die Homosexualisierung der Gegenwart erreicht Rekordwerte, ein irritierender Kult um die Schwulen scheint entstanden zu sein, Homosexualität ist zu einer Art Religion geworden", erklärt Gut. Uiuiuih, die schwule Weltverschwörung, sie ist im vollen Gange.
Wo Kult und Religion regieren, schimmert schnell der Fanatismus durch. "Der Punkt scheint erreicht, wo die Propagierung des eigenen Lebensstils auf Kosten der Meinungsäußerungsfreiheit ins Intolerante kippt", meint der Kolumnist, und nennt als Beispiel den Fall der Ex-Miss-Kalifornien Carrie Prejean, die sich als Auserwählte Gottes bezeichnet hatte, um gegen die Homo-Ehe zu kämpfen, und die dafür ihren Titel aberkannt bekam. Ja, echt schade, dass man nicht mehr einfach so intolerant sein und strunzdummes Zeug verbreiten darf, Herr Gut. Nur, warum schlagen Sie sich als intelligenter Mensch damit auf die Seite der Doofen?
Vielleicht einfach nur, weil es so gut in die Argumentationsschiene passt. Wie auch die bewusste Verdrehung der Tatsachen. "Homosexualität ist Weltanschauung und politisches Programm geworden", jammert Gut. Die Emanzipationsbewegung sexueller Minderheiten hat sich zu keiner Zeit um einen Posten als Statthalter einer neuen Ideologie beworben. Ihr politisches Programm bestand und besteht in der Infragestellung der gängigen Definitionen von Sexualität und Moral, die zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen, sowie dem Bestreben, sich in die bestehenden bürgerlichen Strukturen zu integrieren.
Mottenkiste homofeindlicher Argumente
"Selbst vor Kindern und Schulen machen die schwulen Pressure-Groups nicht halt", warnt Gut, entsetzt durch die Versuche, der Homophobie bereits im staatlichen Erziehungswesen durch Vermittlung von Werten wie Toleranz und Akzeptanz entgegenzutreten. Dieses Argument ist besonders hässlich, wird doch damit subtil das Ressentiment durch das Bild des schmierigen Kindesverführers geschürt.
Was treibt Gut dazu, derart tief in die Mottenkiste homofeindlicher Argumente zu greifen? Ein belesener Mensch, der Geschichte, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich studiert hat. Und der 2008 die preisgekrönte Studie "Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur" veröffentlichte. Thomas Mann? Huch!? Also, Herr Gut, wir wollen natürlich hier an keiner Stelle irgendetwas andeuten noch behaupten. Und wo kämen wir denn da hin, wenn wir Weltverschwörer jetzt auch noch jedem eventuellen Heterosexuellen verbieten würden, sich mit dem homosexuellen Schriftsteller Thomas Mann zu beschäftigen. Nur, betrachtet man – rein theoretisch – Ihren Debattenbeitrag vom "anderen Ufer" aus, passt es. Denn die größte Sorge einer Schrankschwuppe ist die Sichtbarkeit ihrer offen lebenden potentiellen Bettgenossen.
Im Schrank mit offenem Hosenladen
Schrankschwule argumentieren gern wie folgt: "Nach der erfolgreichen Emanzipation dürfte man eigentlich erwarten, dass die Homosexuellenbewegung etwas lockerer wird und die penetrante Sichtbarkeit zurückstellt. Schwulsein wäre dann einfach eine sexuelle Veranlagung, eine Privatsache, die nach den Regeln des guten Geschmacks in der Öffentlichkeit endlich wieder diskreter behandelt würde. Man läuft ja auch sonst nicht dauernd mit offenem Hosenladen herum." Das sind Ihre Worte, Herr Gut. Schwule zurück in den Schrank, der ist ja jetzt so schön gepolstert?
Es interessiert uns eigentlich nicht, welchen sexuellen Praktiken Sie nachgehen und warum. Auch wenn Sie es nicht glauben: wir sind schließlich tolerant. Doch eines geht nicht: Predigten wie die Ihre. Bitte ersetzten sie einmal probeweise die Wörter Schwule, Homosexuelle, Lesben jeweils durch Juden, Schwarze, Frauen, oder – wenn sie es in einer lustigen Version haben möchten – durch Karnevalist. Vielleicht wird der von ihnen verzapfte Unsinn dann auch für Sie deutlich. Queer.de verleiht Ihnen auf jeden Fall – natürlich nur zum Zwecke der Vervollständigung unserer schon bald kommenden Weltherrschaft – die Homogurke. Wir erwarten die Entgegennahme mit "offenem Hosenladen".

Das hat dieser Mann sich redlich verdient!
Die "Welt"-Redaktion, die den außerordentlichen Beitrag Doktor Guts veröffentlichte und dann leider die Leserkommentarfunktion abschaltete, sollte aber auch noch mit einen Extra-Cornichon gewürdigt werden.