https://queer.de/?11260
- 24. Oktober 2009 4 Min.
Der Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP für die nächsten vier Jahre im Bund steht: Nach mehr als elfstündigen Verhandlungen einigten sich beide Seiten am frühen Samstag Morgen auf letzte Details.
Nach dem sensationellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Homo-Ehe in dieser Woche sollen die Rechte von Lebenspartnern verbessert werden. Die Koalitionspartner wollen u.a. "gleichheitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abbauen und insbesondere die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten umsetzen".
Den Kampf gegen Diskriminierung will die neue Regierung aber nur angehen, so weit sie muss. EU-Richtlinien sollen "wettbewerbsneutral ('1 zu 1')" umgesetzt werden. "Das geltende AGG werden wir im Hinblick auf einen möglichen Abbau von Bürokratielasten überprüfen. (...) Wir setzen uns aktiv gegen alle Formen von Diskriminierung ein. Den ungeeigneten Entwurf der Europäischen Kommission zur 5. Antidiskriminierungsrichtlinie lehnen wir allerdings ab." Unter "Gleichstellung" heißt es später: "Wir werden uns für eine Kultur der Vielfalt einsetzen und begrüßen daher 'Diversity-Strategien'."
Zur Frage eines gemeinschaftlichen Adoptionsrechts für schwul-lesbische Paare findet sich im Koalitionsvertrag kein Wort. Es gibt aber einen allgemeinen Schwenk von der Ehe zur Familie hin: "Es sind die Familien, die als Leistungsträger für die Gesellschaft unser Land, aber auch unsere Zukunft tragen. In Lebensgemeinschaften, in denen Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, werden ebenso Werte gelebt die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. Es ist Ziel dieser Koalition, die wirtschaftliche und soziale Leistungsfähigkeit von Familien weiter zu stärken."
Im Sexualstrafrecht sollen Änderungen der letzten Jahre, die nach europäischem Recht nicht geboten sind, zurückgenommen werden. Internetsperren gegen vermeintliche Kinderpornographie werden zunächst nicht eingesetzt; solche Inhalte sollen hingegen zur Löschung gebracht werden. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sollen Bundesbehörden keinen Zugang zu den Daten aus der Vorratsdatenspeicherung bekommen.
Hirschfeld-Stiftung und Transsexuellengesetz
Nach jahrelangen Streitereien, in denen erst Rot-Grün, dann Schwarz-Gelb eine Hirschfeld-Stiftung forderten, wird diese nun eingerichtet: "Wir werden den Beschluss des Deutschen Bundestags aus dem Jahr 2000 umsetzen und im Sinne eines kollektiven Ausgleichs für homosexuelle NS-Opfer eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung errichten. Sie soll durch interdisziplinäre Forschung und Bildung der Diskriminierung homosexueller Männer und Frauen entgegenwirken." Weitere Details (etwa zur Besetzung) verrät der Vertrag nicht. Eine Rehabilitierung von Verurteilten nach § 175 nach 1945 oder eine individuelle Entschädigung kommen nicht vor.
Und noch ein weiterer Urteilsspruch aus Karlsruhe hat es, nach drei Jahren, zu einem Punkt im Kolitionsvertrag geschafft: "Das geltende Transsexuellengesetz ist in seinen wesentlichen Grundzügen inzwischen fast dreißig Jahre alt. Es entspricht nicht mehr in jeder Hinsicht aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wir werden das Transsexuellengesetz deshalb unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf eine neue zeitgemäße Grundlage stellen, um den betroffenen Menschen ein freies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen."
In der Außenpolitik bekennt sich die neue Koalition zu Minderheiten: "Körperliche und geistige Unversehrtheit, Gedanken- und Meinungsfreiheit und die Freiheit von Diskriminierung sind unveräußerliche Prinzipien unserer Menschenrechtspolitik. Wir wenden uns auch in unseren auswärtigen Beziehungen gegen jegliche Benachteiligung aufgrund von Religion, ethnischer Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung."
Westerwelle wird Außenminister
Am Montag soll der Koalitionsvertrag der neuen schwarz-gelben Koalition in Berlin unterzeichnet werden. Auch die Personalien sind nun klar: Die CDU erhält (Bundeskanzlerin eingeschlossen) acht Posten, an die FDP gehen fünf Ressorts, die CSU kommt auf drei Ministerien. Guido Westerwelle wird der erste offen schwule Außenminister eines Landes und Vize-Kanzler.
Eine überraschende Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel betrifft das Finanzministerium: Dorthin wird der bisherige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) wechseln. Damit wird Rainer Brüderle von der FDP Wirtschaftsminister. Er tritt die Nachfolge von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) an, der das Verteidigungsressort übernimmt. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erhält das Justizressort, der bisherige FDP-Generalsekretär Dirk Niebel wird Entwicklungshilfeminister.
Das Gesundheitsministeriums wird künftig vom liberalen Landeswirtschaftsminister in Niedersachsen, Philipp Rösler, geleitet. Die CSU erhält zwei neue Ressorts. Neben dem künftigen Verteidigungsminister zu Guttenberg wird der bisherige CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer ins Verkehrsministerium wechseln. Im Amt bleibt Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner. Der bisherige Verteidigungsminister Franz Josef Jung soll das Arbeitsministerium leiten. Der bisherige Kanzleramtsminister Thomas de Maizière wird Innenminister, seinen bisherigen Job übernimmt Ronald Pofalla. Norbert Röttgen wird Umweltminister. Im Amt bleiben Annette Schavan als Bildungsministerin und Ursula von der Leyen als Chefin des Familienressorts. (nb)














