Lieber Michael Kempter,
zugegeben, die Sache ist sehr heikel und der Zeitpunkt momentan sicher nicht der Günstigste. Außerdem müssen wir an dieser Stelle ganz, ganz vorsichtig formulieren, damit dein Anwalt nicht denkt, er müsse uns wegen dieser Kolumne mal eben eine saftige Abmahnung schicken. Deswegen formuliere ich mal auf einer rein theoretischen Ebene, ohne irgendwem irgendetwas unterstellen zu wollen. Kapiert?
Zunächst einmal: Wir wissen nicht, was genau vorgefallen ist zwischen dir und dem Herrn Amerell. Es gibt inzwischen eine detaillierte Schilderung von dir, ausgeheult passenderweise im Schmutzblatt "Bild" (queer.de berichtete). Ebenso Dementis sowie die Offenlegung einer süßen, privaten SMS-Nachricht durch den Beschuldigten, ebenfalls über die Medien verbreitet (queer.de berichtete).Der Versuch, einen zwischenmenschlichen Konflikt im beruflichen Umfeld zu beseitigen, ist gründlich schief gegangen, weil er an die Öffentlichkeit geriet. Zu all dem will ich mich gar nicht äußern.
Doch ich mache mir generell Sorgen um Männer, die von sich behaupten, nicht schwul zu sein, die aber sexuelle Kontakte mit Männern haben. Die schwule Szene ist ein Dorf, und wer sich - besonders als Promi - nicht auf anonyme Rubbeleien in tiefdunklen Kellern beschränken will, der ist erkennbar - und steht damit schnell im Mittelpunkt des Szenetratsches, wenn er irgendwo mal die Hosen heruntergelassen hat.
Um Sex mit Männern zu haben, muss man nicht zwangsläufig eine schwule Identität entwickeln, das klappt auch so ganz gut - wer je ein Hamam in Istanbul besucht hat, weiß wovon ich rede. Wesentlich wichtiger ist es jedoch für die persönliche Reifung einer jeden Person, wenn derjenige es schafft, seine "schwulen" Anteile in sein Leben zu integrieren, offen und ohne Angst vor einem Statusverlust. Es ist bekannt, dass diese Angst bei einem Menschen, der beispielsweise im Profisport eine Karriere hinlegen will, besonders groß ist. Beim DFB gibt es dafür inzwischen - auch dank Theo Zwanziger - ein Problembewusstsein und erste Versuche, das "letzte Tabu" abzubauen.
Völlig egal, auf wen oder was du stehst, eines kann ich versichern: Jeder, der mit sich und seiner sexuellen Orientierung im Reinen ist, der entwickelt ein ungeahntes neues Selbstbewusstsein, jenseits allen Stolzes, den man sich durch einen Job, den man gut macht, einholen kann. Damit hält man dann auch viele Anfeindungen von außen aus. Und, viel wichtiger: Man ist wesentlich immuner gegen grabbelige Männer, die einen eventuell mit Handlungen konfrontieren, die man nicht will.
Ein Coming-out tut nur am Anfang weh, danach ist es befreiend. In jeglicher Hinsicht!
Ja, fast überall. Außer im Fußballgeschäft