Zwei schwule, entlassene Soldaten ketten sich ans Weiße Haus an, werden verhaftet. Aktivisten besetzen die Büros von Nancy Pelosi, werden verhaftet.
Von Norbert Blech
So etwas hat Amerika lange nicht gesehen: spontane Proteste der Organisation Get Equal bringen die Polizei - und ehrwürdige Schwulenorganisationen - ins Schwitzen. Begonnen hatte der Tag des "zivilen Ungehorsams" in der US-Hauptstadt.
Die Polizei von Washington D.C. hat am Donnerstag in Zusammenarbeit mit dem Secret Service drei Homo-Aktivisten bei einem unangekündigten Protest vor dem Weißen Haus verhaftet. Zwei wegen ihrer Homosexualität entlassene Soldaten hatten sich mit Handschellen an den Zaun des Präsidentensitzes angekettet - am Tag einer Anhörung des US-Senats zur umstrittenen "Don't Ask, don't tell"-Regelung, die zur Entlassung von schwulen und lesbischen SoldatInnen führt, wenn ihre sexuelle Orientierung bekannt wird (Bericht zur Anhörung folgt)
Bei den Männern, die sich in ihrer Militär-Uniform anketteten, handelt es sich um Captain Jim Pietrangelo, der seit seiner Entlassung 2004 vor Gericht gegen die "Don't Ask, don't tell"-Regelung (DADT) klagt, und um Leutnant Dan Choi, der im letzten Jahr entlassen worden war, nachdem er sich im Sender ABC geoutet hatte (queer.de berichtete). Zudem wurde Robin McGehee von GetEqual.org verhaftet, die den Protest mit organisiert hatte.
Medienberichten zufolge war Choi zuvor unangekündigt bei einem angemeldeten Protest der Human Rights Campaign gegen DADT mit der Komikerin Kathy Griffin in einem anderen Bereich der Hauptstadt aufgetaucht. Nach längeren Verhandlungen mit HRC-Sprechern durfte er, offenbar auf Intervention Griffins, eine kurze Rede halten (er bat den Kongress, DADT abzuschaffen, "nicht nächstes Jahr, nicht morgen, jetzt") und forderte die rund 300 Teilnehmer auf, ihm bei einem Marsch zum Weißen Haus zu folgen. "Ich möchte, dass ihr alle eure Handys rausnimmt und diesen Moment dokumentiert, in dem wir gemeinsam Geschichte schreiben", sagte er laut Medienberichten.
Youtube | Amateurvideo: Dan Choi hält angekettet ans Weiße Haus eine Rede
Gemeinsam Geschichte schreiben
Während die meisten Aktivisten der Aktion nicht folgten, gingen rund 50 bis 100 Menschen zum Weißen Haus, wo sich Choi und Pietrangelo sofort an den Zaun anketteten. In seiner kurzen Rede (s. Video) sagte Choi, dass in einem Moment, in dem Reden einen nicht mehr vorwärts bringe, Handlungen gefragt seien. Agenten des Secret Service trennten darauf die Menge von den zwei Männern und legten eine Polizeiabsperrung an.
Während die Menge "Keep your promise, Obama" rief (der Präsident hatte versprochen, die umstrittene Regelung aufzuheben), waren rund 20 Agenten und die Insassen von vier Polizeiwagen mit dem Protest beschäftigt, berichtet das Magazin "DC Agenda". Nach gut einer Stunde wurden die beiden Männer "befreit", erneut in Handschellen gelegt und abgeführt.
Sie wurden wegen Nicht-Beachtens einer polizeilichen Auflage (dem Abnehmen der Handschellen) angeklagt. Choi und Pietrangelo mussten über Nacht auf der Polizeistation bleiben, durften niemanden anrufen und bekamen nicht die Möglichkeit auf Kaution. Sie werden am Freitag einem Richter zugeführt. Robin McGehee wurde bereits verhaftet, als sie den Ex-Soldaten beim Anketten half, und wurde aus den gleichen Gründen angeklagt, konnte aber nach Zahlung von 25 US-Dollarn nach Hause.
Tag des zivilen Ungehorsams
Die neue Organisation GetEqual.org war damit noch nicht fertig: wenig später kam es zu Sit-Ins IN den Büros von Nancy Pelosi, der demokratischen Sprecherin des Repräsentantenhauses, in San Francisco und Washington. Thematisch ging es bei der Besetzung vor allem um ein bundesweites Antidiskriminierungsgesetz am Arbeitsplatz (ENDA). Die Aktivisten forderten, Pelosi solle das Gesetz zur Abstimmung bringen, man werde das Büro nicht vorher verlassen, es sei denn, man werde verhaftet.
Folglich beendete die Polizei auch hier den Protest: in San Francisco wurden sechs von elf Aktivisten verhaftet, in Washington vier von acht. Sie sind inzwischen wieder auf freiem Fuß, nach der Zahlung einer Strafe in Höhe von 125 US-Dollarn.
In einigen Städten kam es am Donnerstag abend zu Demonstrationen gegen die Festnahme von Choi und Pietrangelo, am Freitag soll es weitere geben. So soll der Times Square in New York um 12 Uhr Ortszeit mit einem Protest lahmgelegt werden, dort gibt es ein Anwerbungsbüro des Militärs.
In schwulen Blogs aus Amerika wird derweil diskutiert, ob solche Aktionen förderlich sind, die meisten bejahen die Frage. Damit stellt die neue Gruppierung Get Equal auch die eher an traditionellen Aktionen ausgerichtete Politik der Human Rights Campain in Frage. In einer Erklärung gab die Lobby-Gruppe an, ihre Sprecher seien bei dem ursprünglichen Protest geblieben, um weiterhin den nötigen Druck für eine Aufhebung des Gesetzes aufzubauen. Mit dieser Aussage wolle man aber nichts gegen die Aktionen von Dan Choi und Anderen sagen. Die Webseite gay.americablog.com weist den Bericht der Human Rights Campaign zurück: als Choi gesprochen habe, sei die Kundgebung am Ende gewesen und alle Teilnehmer hätten mit zum Weißen Haus marschieren können.
Update, 19.3., 8.55h: Informationen aus der Nacht
Nachtrag, 20.3.: Dan Choi und Jim Pietrangelo sind entlassen worden und stehen am 26. April vor Gericht.
Youtube | Video der Aktivisten von Get Equal kurz vor dem Sit-In in San Francisco
Bei einem Hearing des US-Senats zu "Don't ask - don't tell" hat der pensionerte US-General John Sheehan sich gegen die Abschaffung ausgesprochen und dazu unter anderem angeführt, das Massaker von Srebrenica 1995 hätte deshalb nicht verhindert werden können, weil im niederländischen Armeekontingent, daß in der Stadt für Ordnung sorgen sollte, zu viele Schwule gewesen seien.
Nach dem Ende des Kommunismus habe man sich bei den europäischen Streikräften viel zu sehr auf Friedenssicherung und Liberalisierung konzentriert, hätte gar offen Schwule aufgenommen und die europäischen Streikräfte seien daraufhin für Kampfeinsätze nicht mehr geeignet gewesen.
Deshalb hätten die Serben die Holländer einfach mit Handschellen an die Telegrafenmasten fesseln und die Moslems aus der Stadt treiben und umbringen können.
Dies hätten ihm auch niederländische Führungsoffiziere so bestätigt, erklärte Sheehan auf weiteres Nchfragen.
Auf youtube gibt es einen Ausschnitt aus dem Hearing:
www.youtube.com/watch?v=ieQ3RzOVi_0
Sollte die Redaktion gelegentlich einen Korrespondenten für den französischen Sprachraum suchen, darf sie sich gern bei mir melden.
Carolo