Der Fall Amerell hat auch die Polit-Talkshow von Frank Plasberg erreicht. In der Diskussion ging es aber mehr um die Frage, warum so wenige offen Schwule im Fußballsport zu finden sind.
Von Dennis Klein
Es war nicht die aufregendste Talkrunde bei Frank Plasberg. Vier gutmütige Gäste erklärten, dass Schwule doch auch nur Menschen sind, die auch im Sport Talent zeigen können. Der fünfte Gast übernahm den Part des dümmlichen Polterers, den man eher aus Nachmittags-Talkshows kennt: Der Kampfsportler und Schauspieler Claude-Oliver Rudolph hält Schwule für keine echten Männer, die daher im harten Sport nichts zu suchen haben. Homosexuellen attestiert er generell eine "biochemische Verschiebung", die ihnen den "Killerinstinkt" raubt. Man erwartet fast immer, dass er im nächsten Satz Weisheiten wie "Frauen können nicht Autofahren" oder "Schwarze können nur schnackseln" von sich gibt.
Rudolphs Meinung zufolge hält sich der gemeine Schwule am liebsten in "kleinen Grüppchen" auf; "Und die verstecken sich in der Kunst und im Design", weiß der 53-Jährige, der im Film "Das Boot" den Dieselheizer Ario darstellte. Später, als im Einspielfilm das Coming-out des walisischen Rugbyspielers Gareth Thomas vorgestellt wird, rückt Rudolph von seiner "Biochemie killt Killerinstinkt"-These ab: "Es gibt ja auch Machoschwule", erklärt er leicht genervt.
Die anderen Gäste, die nicht 40 Jahre Kampfsport auf dem Buckel haben, betrachten das Thema weniger hormongeladen. Bundesliga-Coach Peter Neururer, der zuletzt den MSV Duisburg trainierte, erklärt lakonisch, ihm sei nicht klar, warum eine Hete härter sein soll als ein Homo. In seiner 20-jährigen Karriere als Proftrainer sei ihm aber noch keiner begegnet, der sich geoutet habe.
Ein solch schwuler Ex-Profi sitzt neben ihm: Der ehemalige DDR-Jugendnationalspieler Marcus Urban berichtet darüber, wie sein Doppelleben ihm zusetzte. Während er Männer begehrte, musste er sich dem Machokult unterwerfen, in dem es nötig ist, einen Gegner schon mal als "schwule Sau" zu titulieren. Dieses Ritual habe er nicht brechen können, solange er Teil des Teams war.
Neben ihm weist der nette Talkonkel Johannes B. Kerner dann darauf hin, dass es jetzt ja eine "relativ aufgeklärte Generation" gebe, die nicht die Nase über Homosexuelle im Fußball rümpfen würde. Die Generation sei anders sozialisiert worden als die homophoberen Älteren, mit denen man aber auch ins Gespräch kommen müsse. Es müsste nur mal eine Gruppe von schwulen Fußballern sich outen, dann wäre der erste Schritt getan. Einer allein könne das nicht schultern.
Kerner, der in seiner Sat.1-Talkshow zuletzt Manfred Amerell als Gast begrüßte, sieht die Schiedsrichteraffäre als komplett anderes Thema an: "Amerell ist nicht wegen seiner Neigung gefeuert worden, sondern wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung." Die Runde befasste sich mit diesem Fall nur am Rande.
Neben Polterer Rudolph durfte auch der Grünenpolitiker Volker Beck in der Runde Platz nehmen. Er kritisiert den DFB scharf dafür, dass der Verband praktisch nichts gegen Homophobie im Fußball unternehme. So habe es keinerlei Kritik an der Aussage des früheren Schalke-Managers Rudi Assauer gegeben, der Schwulen im Fußballgeschäft generell riet, sich einen anderen Job zu suchen. Wenn jemand eine solche Aufforderung an Ausländer oder Juden stellen würde, hätte der DFB eingegriffen, ist sich Beck sicher.
Auch wenn es in der Runde wenig Neues zu hören gab, dürften viele Fußballfans erstmals auf das Thema gestoßen sein. Es wurde direkt nach Pokalspitzenspiel Schalke 04 gegen Bayern München ausgestrahlt, das die Südländer in der Verlängerung gewannen. Um 23:20 Uhr sahen daher immer noch 2,3 Millionen Menschen zu; der Marktanteil lag mit rund 20 Prozent weit über dem Senderschnitt.
Sie bekamen auch den besten Dialog des Abends mit. Denn als polternde Ex-Kampfsportler neben Volker Beck seine Thesen mit fliegenden Händen verteidigt, fragt Moderator Plasberg den Grünenpolitiker: "Wie finden sie es, dass sie vom Herrn Rudolph dauernd angetatscht werden?". Beck antwortet kurz angebunden: "Es erotisiert mich nicht."
Die gesamte Sendung kann als Stream auf der WDR-Seite abgerufen werden. Wiederholung im TV: 25.3. 20:15 Uhr, EinsExtra
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Das sehe ich ähnlich.
Würde sich nur ein einzelner Spieler outen, wäre er für gegnerische (und auch eigene Fans) und Blättchen wie die Bild-Zeitung ein gefundenes Fressen.
Was man bräuchte wäre ein Massenouting, wo sich Spieler der verschiedensten Vereine (egal ob 1. Liga, 2. Liga oder dort nicht vertretene Spieler) und evtl. auch Schiedsrichter gemeinsam outen.
Ich denke da an etwas wie die Stern-Titelseite in den 70ern (glaube ich), wo viele bekannte Frauen abgebildet waren und in der Mitte stand "Wir haben abgetrieben".
Nur durch solch ein Massen-Comingout wäre das Ziel erreicht und gleichzeitig jeder Einzelne aus der Schusslinie genommen.
Gerade jetzt dank des "Falls Amerell" wäre dieser Schritt nötiger denn je.
Und es geht da nicht nur um die positiven Folgen für Schwule und die ganze Gesellschaft. Es geht auch nicht nur um die Vorbildfunktion, die Sportler für Jugendliche haben können. Sondern es geht gerade auch um die Spieler selbst. Sie mögen noch so reich und erfolgreich sein, aber erst, wenn man sich geoutet hat, merkt man, wie frei man plötzlich ist und wie gut es einem innerlich geht. Das kann man sich vorher gar nicht richtig vorstellen.
Ich selbst habe nach meinem Outing bereut, das nicht eher gemacht zu haben, denn das ist (selbst wenn es auch mal eine negative Reaktion gibt) das Beste, was man in seinem Leben tun kann. Je länger man wartet, desto mehr wird man später bereuen, so viel Zeit vergeudet zu haben.
Insofern stimme ich zu:
ein Massenouting vieler schwuler Fußballprofis wäre an der Zeit und genau der richtige Schritt für sie.