Noch hat Barack Obama seinen Kandidaten für das oberste Verfassungsgericht nicht vorgestellt, schon warnen konservative Aktivisten: Bloß kein Schwuler!
Von Dennis Klein
Der Supreme Court in Washington ist das wohl mächtigste Gericht der Welt: Neun Richter, alle auf Lebenszeit ernannt, können praktisch nach Gutdünken die amerikanische Verfassung interpretieren – und so Geschichte schreiben. Die Richter werden jeweils vom amtierenden Präsidenten ernannt und müssen vom Parlament bestätigt werden. Nachdem der 89-jährige John Paul Stevens seinen Rücktritt erklärt hat, darf Obama zum zweiten Mal einen Richter bestimmen. Die Republikaner im Senat haben bereits Widerstand angekündigt. Hier können sie durch Verfahrenstricks das Nominierungsverfahren in die Länge ziehen. Nominierungen waren zwar lange Zeit Formsache – allerdings haben die oppositionellen Republikaner nach ihrer Niederlage bei der Gesundheitsreform eine Fundamentalopposition gegen die Obama-Regierung angekündigt.
Manche konservative Gruppen befürchten nun, dass Obama einen Schwulen oder eine Lesbe ins Amt hieven könnte – und machen prophylaktisch Stimmung gegen Homo-Richter: "Wenn wir einen Homosexuellen zum Verfassungsrichter machen, werden wir eine Person ins Amt hieven, die zugibt, etwas getan zu haben, das bis 1962 in unserem Land ein schweres Verbrechen war... In manchen Staaten sogar bis 2003", erklärte etwa die American Family Association (AFA), eine konservative christliche Gruppe, die über 180 Radiostationen Millionen Menschen erreicht. Die Organisation spielt damit auf die "Sodomy Laws" an, die einst jeglichen nichtehelichen Sex verboten haben.
Konservative: Schwule Richter stimmen für "sexuelle Abartigen"
Kommentator Bryan Fischer erklärte im AFA-Radio sogar, dass ein schwuler Verfassungsrichter "in jedem Fall für sexuelle Abartigkeiten" stimmen würde: "Das heißt also: Das amerikanische Ideal der absoluten Gleichbehandlung vor dem Gesetz wird durch einen homosexuellen Richter kaputt gemacht."
Auch die Lobby-Gruppe Focus on the Family, die immerhin ein jährliches Budget von 140 Millionen Dollar aufbringt, warnt vor Schwulen und Lesben auf der Richterbank. Diese seien nicht objektiv und würden in Fällen, in denen es um Homosexualität geht, immer für die Homo-Kläger stimmen, mutmaßt auch diese Gruppe.
Noch ist nicht klar, wen Obama für das Amt vorschlagen wird. Es ist allerdings gar nicht so ungewöhnlich, dass ein Präsident eine neue Gruppe in den Supreme Court bringen will, der bei seiner Gründung 1789 noch ein exklusiver Club weißer Männer war. So ernannte Präsident Ronald Reagan etwa mit Antonin Scalia den ersten Italo-Amerikaner; sein Nachfolger George H.W. Bush brachte mit Clarence Thomas den ersten Afro-Amerikaner in die hohen Hallen. Und Barack Obama ernannte letztes Jahr mit Sonia Sotomayor die erste Latina.
Obama muss für seinen Richter kämpfen
Doch schon damals brachte dem gegenwärtigen Präsidenten die Ernennung Probleme ein: Die 55-Jährige wurde von einigen konservativen Republikanern als "Rassistin" bezeichnet – und zwar nur, weil Sotomayor darauf hingewiesen hatte, dass Latinas wegen Diskriminierungserfahrungen manche Dinge besser verstünden als weiße Männer. Sie ist schließlich doch im Senat mit mehr als zwei Drittel der Stimmen bestätigt worden. Ein Schwuler oder eine Lesbe würde allerdings weit mehr Widerstand erfahren, da ihnen – anders als etwa ethischen Minderheiten – von manchen Konservativen generell ein unmoralischer Lebenswandel vorgeworfen werden würde.
Die Anhörung im Senat kann über Monate dauern. Die Nominierungen entscheiden darüber, wie die USA in den nächsten Jahrzehnten aussehen wird. Derzeit sind sechs Bundesrichter von Republikanern ernannt worden, drei von Demokraten (darunter auch der scheidende John Paul Stevens). Insgesamt gelten vier Richter als eher "konservativ", vier als eher "liberal" und einer als unentschieden – und somit oft als Zünglein an der Waage.
Für Schwule und Lesben hat der Supreme Court in den letzten Jahrzehnten mehrere Durchbrüche gebracht. Zuletzt erklärte der Verfassungsgerichtshof im Fall "Lawrence versus Texas" 2003 die "Sodomy Laws" für verfassungswidrig. Zu dieser Zeit hatten noch 13 Bundesstaaten gleichgeschlechtlichen Sex verboten (einige von ihnen untersagte jeden Art von vorehelichem Sex). In Michigan und Idaho konnte den Büchern zufolge sogar eine lebenslange Haftstrafe für Homo-Sex ausgesprochen werden, auch wenn dieses Gesetz lange nicht mehr angewandt wurde.
Der Fall der "Sodomy Laws" zeigt auch, wie sehr Juristen von ihrer eigenen politischen Philosophie beeinflusst werden. Denn nur 17 Jahre vor "Lawrence versus Texas" musste der Supreme Court bereits in einem ähnlichen Fall entscheiden. 1986 erklärten die Richter im Fall "Bowers versus Hardwick" mit fünf gegen vier Stimmen noch, dass "Sodomy Laws" in Ordnung gingen. Die Verfassung hat sich zwischen 1986 und 2003 übrigens nicht verändert – lediglich die Richter waren andere. In ihrer Entscheidung schrieb die Mehrheit vor sieben Jahren: "Bowers war damals ein Fehler, den wir jetzt korrigiert haben". Obama und der Senat werden nun darüber entscheiden, welche "Fehler" das Verfassungsgericht in den nächsten Jahrzehnten korrigieren wird.
Also: Warum keine lesb. Richterin, keinen schwulen Richter in den Tempel lassen?