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- 21. Oktober 2010 3 Min.

Die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind für die Nationalstaaten bindend.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am Donnerstag das seit 2006 jedes Jahr ausgesprochene CSD-Verbot in Moskau gekippt.
Die Richter haben entschieden, dass die russische Hauptstadt damit gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit, das Recht auf wirksame Beschwerde und das Diskriminierungsverbot verstoßen habe. Die Entscheidung fiel einstimmig - auch mit der Stimme eines russischen Richters.
Der frühere Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow hatte das CSD-Verbot damit begründet, dass die Verbreitung von Homosexualität in Russland verhindert werden müsse, da es sich hierbei um eine "gesellschaftliche Plage" handele (queer.de berichtete). Daher untersagte er die "offene Propaganda von gleichgeschlechtlicher so genannter Liebe".
Diese Begründung ist aber nach dem Urteil der Richter mit dem Europarecht nicht vereinbar: Sie stellten fest, dass Artikel elf der Menschenrechtskonvention auch dann das Rechte auf öffentliche Protestkundgebungen garantiere, wenn das Anliegen der Demonstranten nicht von der Mehrheit geteilt wird und Gegenveranstaltungen provoziert. Die Richter erklärten, dass das Verbot nicht wegen Sicherheitsbedenken ausgesprochen wurde, sondern um die "moralischen Werte der Mehrheit" zu verteidigen.
Schmerzensgeld für CSD-Organisator

CSD-Organisator Nikolai Aleksejew
Dem CSD-Organisator Nikolai Aleksejew wurden rund 30.000 Euro an Schmerzensgeld für Diskriminierung sowie für Auslagen zugesprochen. In einer ersten Reaktion zeigte sich der 32-Jährige begeistert über die Entscheidung: "Wir erklären den 21. Oktober zum Befreiungstag für Schwule und Lesben in Russland und werden ihn fortan jedes Jahr mit einer Demonstration feiern", erklärte er. Er kündigte auch an, ein Verfahren wegen Amtsmissbrauch gegen Luschkow anzustrengen.
Auch der deutsche Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) begrüßte das Urteil: "Das CSD-Verbot in Moskau war unter allen Gesichtspunkten diskriminierend und rechtswidrig", so Beck. Es könne nun zu einer Demokratisierung in Russland führen, die aber Zeit in Anspruch nehme: "Russland unter Putin ist eine Diktatur neuen Typs. Dieses System aufzubrechen, ist ein langwieriger Prozess", glaubt Beck, der bei seiner CSD-Teilnahme 2006 unter den Augen der Polizei von rechtsradikalen Jugendlichen verprügelt wurde (queer.de berichtete).
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da Russland noch vor der Großen Kammer des Menschenrechtsgerichtshofes Berufung einlegen kann. Tritt es in Kraft, ist es aber bindend.
Weitere Urteile gegen Russland möglich
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte achtet auf die Einhaltung der Menschenrechtskonvention des Europarats in den Mitgliedsländern.
Dabei könnte noch mehr Ungemach auf russische Homo-Gegner zukommen: Die CSD-Organisatoren haben noch 16 weitere Beschwerden am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen Russland eingereicht. Dabei geht es um die Themen Versammlungsfreiheit, Redefreiheit, Vereinigungsfreiheit, gleichgeschlechtliche Ehen, Hassrede und Diskrimierung im Bereich der Bildung.
Deutschland musste zuletzt im Dezember 2009 vor dem Gerichtshof eine empfindliche Niederlage hinnehmen. Die Richter kassierten das Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung. Zehn Monate später schaffte die Bundesregierung das nicht europakonforme Gesetz ab. (dk)
Nachtrag 22.10., 12:20 Uhr: Das russische Justizministerium hat nach Angaben von Nikolai Alexejew Berufung gegen das Urteil eingelegt. Die Chancen auf Erfolg gelten allerdings als minimal.

Links zum Thema:
» Entscheidung des Gerichts (als Word-Datei auf Englisch)
wodka für die königin !!!!!!