Diese Bleiwüste hat es in sich
Während in England ein Befürworter der Todesstrafe für Schwule Elton Johns Baby kommentiert, ekelt sich ein deutscher Leserbriefschreiber vor kinderschändenden Schwulen.
Von Norbert Blech
Kann es sein, dass um Weihnachten die besten Schlussredakteure in Urlaub sind? In den letzten Tagen gibt es jedenfalls Aufregung um einige homophobe Klopser in den Medien, mit denen man fast nicht mehr gerechnet hätte.
So präsentierte etwa die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" am 25. Dezember einen Leserbrief, der alles andere als weihnachtlich ist. Hans-Jochen B. aus Mettmann reichen eigentlich schon zwei Anführungszeichen, um alles über seine Sicht zum Thema Homosexualität wiederzugeben: Sexuelle Übergriffe wie an der Odenwaldschule hätten nichts mit Pädophilie zu tun, schreibt er, sondern würden von "'normalen' Homosexuellen" begangen.
Doch dann holt er aus zur Schlusspointe, die es eines Tages noch als Praxisbeispiel für tatsächliche Homophobie ins Lehrbuch schaffen wird. Präpubertierende Jungs böten "homosexuellen Tätern zudem den 'Vorteil', dass die zumeist heterosexuell veranlagten Jungen noch keinen Ekel vor homosexuellen Praktiken entwickelt haben."
Zwei Männer und ein Baby
Die "New York Post", Scherzkeks unter den Zeitungen
Der Leserbrief, der bereits bei Facebook für Empörung sorgte, ist nicht das einzige Beispiel für eine Woche, in der Vernunft und Verstand offenbar in Urlaub waren. Besonders deutlich wurde das in der Berichterstattung über Elton Johns Baby, viele Zeitungen nahmen die Adoptionsgeschichte als Anlass für billige Scherze.
Die "New York Post" titelte etwa "Elton & wife proud dads", in der Süddeutschen Zeitung schrieb Willi Winkler: "Elton John ist Vater und Mutter geworden".
Den merkwüdigsten Bericht zum Thema brachten freilich, wie immer, die taiwanesischen News-Animatoren von NMA, die John und seinen Partner in Bondage-Anzüge steckten und das Kind mit zwei männlichen Barbie-Puppen spielen ließen.
BBC unter Beschuss
Diese Stimme könnte die BBC noch bereuen
Blamiert hat sich aber vor allem die BBC. In einem Bericht über Elton John ließ sie am Dienstag Stephen Green zu Wort kommen. Der Sprecher der Gruppe "Christian Voice" sagte: "Das ist nicht nur ein Designer-Baby, das ist ein Designer-Accessoire (...) Es scheint, Geld ermöglicht ihm alles". Soweit noch übliche Kritik, wie sie auch etwa Madonna zu hören bekam. Doch Green holte weiter aus: "Ein Baby braucht eine Mutter und es scheint ein Akt von purem Egoismus zu sein, ein Baby seiner Mutter zu berauben."
Der kurze Interview-Ausschnitt aus den "News at six" sorgte für Empörung in der britischen Szene, hatte sich Green doch erst im letzten Jahr für die Einführung der Todesstrafe für Schwule in Uganda ausgesprochen. Das Portal "Pink News", das weitere Äußerungen des Mannes zusammentrug, fragte bei der BBC nach, warum man diesen Kerl vor die Kamera holte, der selbst vor einigen Jahren die BBC nach der Ausstrahlung von "Jerry Springer - The Opera" verklagt hatte und nicht mal 500 Leute vertritt.
In einem Statement gegenüber Pink News verteidigte sich die BBC, sie habe zu dem kontroversen Thema beide Seiten zeigen wollen. Auf weitere Fragen wurde zunächst nicht eingegangen, inoffiziell sagte ein Mitarbeiter, man habe wegen Weihnachten wohl niemand anderen erreichen können.
Den Kollegen von Pink News reichte das nicht. Zwar ist die BBC im Bereich Unterhaltung sehr schwulenfreundlich, hat aber immer wieder Probleme mit Witze reißenden Radiomoderatoren. Und wohl auch im News-Bereich: Im letzten Jahr gab es eine Umfrage auf der BBC-Webseite, ob man Homosexuelle exekutieren solle. In einem Kommentar schreibt Pink News, es reiche nun. Die Redaktion werde ihre Fernseher entsorgen, womit nach britischem Recht die Rundfunkgebühr entfällt, trotz Online-Angeboten und der Verfügbarkeit aller Programme als Stream. Zum Schluss fragen die Redakteure ihre Leser: "Macht ihr mit?"
Hat schonmal ein hiesiges schwules Medium bei ARD und ZDF gegen den von uns allen finanzierten Anteil schwuler und lesbischer Protagonisten im Hauptabendprogramm von rund 0% protestiert?
Gegen die dümmlichen Geschlechterklischees, die da immer wieder propagiert werden?
Gegen die Auftritte von Overbeck & Co.?
Dagegen, dass im Kinderkanal von ARD und ZDF schwule und lesbische Jugendliche praktisch nicht vorkommen, gleichzeitig aber eine heteronormative Beziehungskiste nach der anderen über den Äther geht?
PinkNews war und ist ja - wie andere schwule Medien in Großbritannien - auch sehr aktiv, wenn es um das konkrete Lebensrecht homosexueller Jugendlicher in der Realität geht.
www.pinknews.co.uk/news/articles/2005-8969.html
In Zeiten, in denen es unter Jugendlichen eine noch nie dagewesene, ganz neue Qualität der offenen Schwulenfeindlichkeit, der homophoben Aggression in der Sprache und Kommunikation, überall wahrnehmbar im öffentlichen und quasi-öffentlichen Raum gibt, wäre das auch hierzulande endlich dringend erforderlich.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Google-Test, um grob zu checken, wo Deutschland steht in Sachen gesellschaftlicher und politischer Debatte sowie konkreter, instutionalisierter Maßnahmen zu diesem im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtigen Problemfeld für Schwule und Lesben.
Einfach mal Suchergebnisse vergleichen:
"homophobic bullying" - "homophobes mobbing"
"homofobia escola" - "homophobie schule"
Da lässt sich schon ziemlich viel ablesen!