Ein CSD-Aufkleber der Grünen aus dem Jahr 2010 forderte: "Homophobie ins Abseits!" Jetzt muss die Partei erstmal im eigenen Haus kehren...
Das Thesenpapier von Boris Palmer zeigt: Homophobe Politiker gibt es in allen Parteien. Doch für die Grünen steht am meisten auf dem Spiel – nämlich ihre Glaubwürdigkeit.
Von Micha Schulze
1980 gehörten Schwulen- und Lesbenaktivisten zu den Mitbegründern der Grünen. Bei der Ökopartei fand die westdeutsche Homobewegung damals ihre Heimat – und die neue Anti-Parteien-Partei nahm deren Forderungen dankbar auf. Herbert Rusche, in den Siebzigern aktiv bei der Homosexuellen Aktion Westberlin und beim Frankfurter Zentrum "Anderes Ufer", zog 1985 für die Grünen als erster offen schwuler Abgeordneter in den Bundestag ein.
Heute, gut dreißig Jahre später, gibt es offen homosexuelle Politiker in allen Parteien, und die Grünen haben queere Themen längst nicht mehr für sich gepachtet. Das ist gut so – und ein Erfolg ihrer eigenen Politik. Doch auch die Grünen sind "normaler" geworden, wie der Fall Boris Palmer zeigt. Natürlich gab es schon immer homophobe Mitglieder innerhalb der Ökopartei – doch die haben sich nur selten aus der Deckung getraut. Antje Vollmers Wortmeldung gegen das Adoptionsrecht für Schwule und Lesben vor sieben Jahren war eine seltene Ausnahme – und sie hat damals zu Recht für einen Proteststurm gesorgt.
Persönliche Abneigung gegen jede politische Vernunft?
Will die Forderung nach einem Adoptionsrecht für Homosexuelle kippen, um neue Wähler zu gewinnen: Boris Palmer (Bild: dustpuppy / flickr / by 2.0)
Es ist kein Zufall, dass ein erneuter Vorstoß für eine homopolitische Rolle rückwärts gerade in Zeiten erfolgt, wo die Grünen in Umfragen bei weit über 20 Prozent liegen. Auf der Mainstream-Welle wittern offensichtlich homophobe Konservative wie Boris Palmer ihre Chance, ungeliebte Forderungen über Bord zu werfen. Spricht da etwa seine persönliche Abneigung gegenüber Schwulen und Lesben gegen jede politische Vernunft?
Palmers Thesen widerlegen sich selbst: Zum einen ist die Mehrheit der deutschen Bevölkerung in Fragen des Adoptionsrechts deutlich weiter als der Tübinger OB, zum anderen liegt die aktuelle Stärke der Grünen nun mal gerade in ihrer Glaubwürdigkeit – nicht nur in ihrem Engagement gegen Atomenergie, sondern auch und gerade in ihrem Einsatz für die Rechte von Homosexuellen. Ohne die Stimmen von Schwulen und Lesben hätte die Ökopartei den Einzug in viele Parlamente verpasst.
Palmers widerlicher Versuch, Minderheitenrechte gegenüber Wählerstimmen abzuwägen, ist der grüne Sündenfall in der Schwulen- und Lesbenpolitik. Der Verrat an einer Kernposition trifft die Ökopartei mitten ins Mark – auch wenn Fraktionschefin Renate Künast den grünen OB sofort zur Ordnung gerufen hat.
Palmer muss seinen Platz im Parteirat räumen
Hinzu kommt: Noch immer gibt es keine Stellungnahme, keine Klarstellung oder gar Entschuldigung von Boris Palmer. Lediglich Volker Beck postete am Sonntagabend kurz und knapp auf Facebook, er habe mit seinem Parteifreund gesprochen: "Er hält das Adoptionsrecht für das falsche Beispiel für seine These. Boris Palmer hält an der Forderung der Gleichstellung für Lesben und Schwule beim Adoptionsrecht fest." Wie war das noch? "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten"… Und welches wäre denn dann das "richtige" Beispiel? Keine Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben? Höhere Studiengebühren? Atomkraft doch lieber ein bisschen länger?
Die Grünen müssen umgehend deutlich machen, dass homophobe Positionen, wie sie der Tübinger Oberbürgermeister vertritt (und sei es vielleicht auch nur aus taktischen Gründen), in der Partei keinen Platz haben. Dazu gehört auch die geschlossene Aufforderung an Boris Palmer, seinen Platz im 16-köpfigen grünen Parteirat zu räumen.
Boris Palmer, shame on you!