Erzählt in "Beginners" (Kinostart: 9. Juni 2011) seine eigene, sehr persönliche Geschichte: Regisseur Mike Mills (Bild: Universal Pictures)
Ein 75-jähriger Mann outet sich nach dem Tod seiner Frau vor seinem erwachsenen Sohn als homosexuell. Danach stürzt er sich voll ins schwule Leben: Gayclubs, Boyfriends und einmal pro Woche schwuler Videoabend mit Freunden. Die begleiten ihn auch, als er vier Jahre später an Krebs stirbt. Der zarte Film "Beginners" erzählt komisch bis traurig, wie der Sohn mit der Homosexualität seines Vaters, dessen Tod und eigenen Liebeswirrungen klar kommt. Ob das alles gut erdacht ist? Beinahe, denn der heterosexuelle Regisseur Mike Mills verfilmte mit "Beginners" nicht nur ein wunderbares Coming-out, sondern auch die persönliche Geschichte seines Vaters. Christopher Plummer spielt diesen oscarverdächtig großartig und Ewan McGregor macht als Sohn seinen Flop mit "I Love You Phillip Morris" wieder gut. Peter Fuchs traf Mike Mills in Berlin zum Gespräch.
Sie sagen, dass Ihr offen schwuler Vater Ihnen mehr über Liebe beibrachte, als in seiner heterosexuellen Phase. Warum?
Er sprach plötzlich über sein Liebesleben und seine Beziehungen. Er gab mehr über seine Gefühle preis, sein Durcheinander, seine Zweifel, seine Höhen und Tiefen. Mein Vater war als Hetero süß und liebenswürdig, aber undurchschaubar. Ich erfuhr nichts von seinem Innenleben. Mein schwuler Vater ging sehr aus sich heraus.
Änderte sich auch etwas in der Liebesqualität?
Er liebte die Menschen viel härter, chaotischer und saftiger. Das beziehe ich nicht nur auf romantische Gefühle, sondern auch auf seine Freunde. Mit mehr Bodenwellen und stärkeren Turbulenzen. Und er brachte mir bei, wie ich in meinem Leben solche Turbulenzen aushalten kann.
Szene aus dem Film: Mit 75 Jahren stürzt sich der eigene Vater in das schwule Leben. Christopher Plummer spielt ihn oscarverdächtig (Bild: Universal Pictures)
Legte ihr Vater einfach einen Schalter um, als er sich outete?
Natürlich waren er und seine Gefühle immer schon schwul. In den 30er Jahren homosexuell aufzuwachsen war sehr beängstigend. Er fühlte sich dabei nicht wohl. Seine ersten schwulen Erfahrungen machte er auf öffentlichen Toiletten. Dort bestand immer die Gefahr, dass die Sittenpolizei Razzien durchführte und ihn einkassierte. Ein Psychiater diagnostizierte ihm eine Geisteskrankheit. Meine Mutter und er waren zu der Zeit gute Freunde und beschlossen zu heiraten, weil er nicht mehr schwul sein wollte.
Führte er während seiner Ehe ein Doppelleben?
Was ich weiß, hatte er in der langen Zeit nur eine Affäre mit einem Mann. Die beendete er aber rasch, weil er wirklich hetero sein wollte, so richtig normal amerikanisch. Andererseits liebten sich meine Mutter und er. Vielleicht nicht in jeder, aber in vielerlei Hinsicht. Als meine Mutter starb, hatte er sein Coming-Out und ging ab wie eine Rakete.
Waren Sie davon überrascht, so wie der Sohn im Film?
Ich muss klar stellen, dass der Film nicht 1:1 mein Leben darstellt. Ich habe auch zwei Schwestern. Meine ältere Schwester wusste Bescheid und erzählte mir davon. Aber wir sprachen nie darüber. Auf dieses Paradoxon ist unsere Familie aufgebaut. Es war ein Familiengeheimnis, über das wir Kinder untereinander redeten, aber nie mit unseren Eltern.
Wie freundeten Sie sich mit der Tatsache an, dass Sie vielleicht nicht am Leben wären, hätte es mehr Schwulenrechte im Amerika der 50er Jahre gegeben?
Ich liebe meinen Dad wirklich, sowohl als Hetero als auch als Schwulen. Als er sich outete, freute ich mich sehr darüber. Da realisierte ich so nebenbei, dass ich nicht auf der Welt wäre, hätte er seine sexuelle Identität schon immer ausgelebt. Aber ich bin meinen Eltern quasi passiert, meine Schwestern sind an die zehn Jahre älter als ich. Meine Mutter war 40, als sie mit mir schwanger war. Das war 1966 sehr ungewöhnlich. Sie hatten also Sex, nur um Spaß zu haben. Sie vögelten einfach mal so rum und waren happy. Das Leben kann manchmal kompliziert sein und gleichzeitig einfach.
Wie sehen Sie das Vermächtnis Ihres Vaters?
Mein Vater sagte mit 75 Jahren, dass er noch einmal von vorne anfangen möchte. Dafür bewundere ich ihn, er wurde damals zu einem Helden für mich. Er riskierte in diesem Alter noch einmal alles für die Liebe. Das beeindruckte mich sehr und das will ich in meinem Film auch erzählen. Der Film ist Ausdruck meiner Bewunderung für sein Coming-out.
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de