Nikolai Aleksejew und seine Mitstreiter wollten nur eine Petition übergeben, wurden aber verhaftet (Bild: Charles Meacham)
Die fünf Männer wollten lediglich eine Petition an die russische Botschaft überreichen. Vier sind recht schnell wieder frei, der Moskauer CSD-Organisator Nikolai Aleksejew hingegen wird stundenlang festgehalten - und verpasst eine Mahnwache vor der Botschaft. Am späten Freitag Abend wird auch er freigelassen.
Von Norbert Blech, zuletzt akt. um 22.30h
Egal was er anstellt, es scheint immer in einer Verhaftung zu enden: Moskaus CSD-Organisator Nikolai Aleksejew wurde am Freitag Morgen in Paris von der Polizei festgenommen, zusammen mit vier weiteren Aktivisten. Sie hatten sich vor der russischen Botschaft getroffen, um friedlich eine Petition zu übergeben - im Vorfeld einer größeren Mahnwache am Freitag Abend. Ironie: Mit der Veranstaltung sollte gegen Versammlungsverbote in Russland demonstriert werden.
Wie die Teilnehmer später schilderten, wurden sie zunächst von der Polizei unbehelligt gelassen, als sie an der Botschaft klingelten. Doch dann gab es offenbar einen Befehl per Funk und zwei Polizeiwagen tauchten auf. Die Aktivisten wurden sofort verhaftet und zur Feststellung ihrer Identität auf ein Polizeirevier gebracht. Sie wurden dazu durchsucht und sollten auch Fingerabdrücke abgeben. Ihnen wurde vorgeworfen, eine nicht angemeldete Versammlung abgehalten zu haben.
Bis auf Nikolai Aleksejew wurden die Aktivisten rund drei Stunden nach ihrer Festnahme wieder freigelassen, Aleksejew hingegen musste insgesamt 11 Stunden auf seine Freilassung warten. Nach Informationen von UK Gay News wurde Aleksejew, als er nach einem Anwalt fragte, von einem französischen Polizisten gesagt, er solle zurück in sein eigenes Land gehen. Der russische Aktivist wurde in eine Zelle gebracht und war stundenlang nicht erreichbar. Laut dem französischen Portal Yagg wurde ihm vorgeworfen, Anweisungen eines Polizisten nicht befolgt und diesen beleidigt zu haben (das Wort "chicken" für Feigling soll gefallen sein). Der amerikanische Fotograf Charles Meacham berichtete hingegen, der Polizist habe Aleksejew verbal und körperlich angegriffen. Davon berichtete auch Aleksejew nach seiner Freilassung. Er beklagte, er habe dreimal Fingerabdrücke abgeben und - erstmals in seinem Leben - Handschellen tragen müssen.
Damit verpasste Aleksejew die eigentliche Mahnwache vor der russischen Botschaft, die schon seit Tagen für 19 Uhr angekündigt war und für die Rechte russischer LGBTs eintreten sollte. An ihr nahmen rund 50 Personen teil - recht wenig, wenn man bedenkt, dass die französischen Portale yagg und tetu den ganzen Tag über die Vorkommnisse in ihrer Hauptstadt berichteten. Sie wurden beäugt von rund 150 Polizisten in Krawallausrüstung, 25 Polizeiwagen standen bereit.
Louis-Georges Tin und Audrey Grelombe kurz vor der Verhaftung (Bild: Charles Meacham)
Unter den Verhafteten vom Morgen war auch Charles Meacham. Der "Walk with pride"-Fotograf war beim CSD in Moskau dabei und danach so wütend, dass er beschloss, in mehreren europäischen Hauptstädten einen größeren Protest vor der jeweiligen Botschaft Russlands abzuhalten - das geschah problemlos vor zwei Wochen während des CSD in Berlin (queer.de berichtete) und vor einer Woche in London (queer.de berichtete), nun in Paris. Ebenfalls verhaftet wurden Audrey Grelombe und Eric Marty von der Gruppe Act Up sowie Louis-Georges Tin. Der Gründer von IDAHO (International Day Against Homophobia) war in diesem Jahr ebenfalls zum CSD in Moskau angereist und dort von der Polizei festgenommen worden. IDAHO, Act Up und eine Journalistin von Yagg hatten den Protest am Freitag Abend in Paris geplant.
In der nicht übergebenen Online-Petition von allout.org wird Russlands Präsident Dmitri Medwedew aufgefordert, die Gewalt beim Moskauer CSD zu verurteilen und Bürgermeister Sergei Sobjanin anzuweisen, Demonstrationen von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern fortan zu erlauben. Rund 14.000 Menschen haben inzwischen unterschrieben.
Louis-Georges Tin kritisierte in einer Pressemitteilung, die französische Polizei habe sich wie die russische verhalten und gegen europäisches Recht verstoßen, sowohl durch die Festnahmen als auch durch die Weigerung, Aleksejew einen Anwaltsanruf zu gestatten. Frankreich habe sich international blamiert. Wie auch Act Up in einer eigenen Presseerklärung forderte Tin die sofortige Freilassung von Aleksejew. Der britische Aktivist Peter Tatchell nannte die Vorkommnisse in Paris "empörend". Das französische Parlament müsse sie aufklären.
Der genehmigte Protest am Abend auf der anderen Straßenseite der Botschaft mit Portraits von Aktivisten aus Russland und Weißrussland (Bild: Ariel Martin Perez)
Beim diesjährigen CSD in Moskau waren 18 Aktivisten verhaftet worden. Die Polizei ließ gleichzeitig Neonazis demonstrieren und auf einige Teilnehmer einschlagen. Zu den Protesten vor den Botschaften hatte der Fotograf Meacham 51 Portraits von Aktivisten aus Russland und Weißrussland mitgebracht, die Teilnehmer der Mahnwachen vor den Botschaften hochhielten. In Berlin waren so auch Aktivisten anwesend, die ihre Stimmen in Russland verloren hatten: Einige der Portraitierten waren am gleichen Tag beim verbotenen CSD in St. Petersburg festgenommen wurden und mussten bis zum nächsten Morgen auf der Polizeiwache verbringen. In Berlin schafften es die Aktivisten trotz Verbots bis an die breite Gitterfront der Botschaft, die Beamten ließen sie für einige Minuten "für ein paar Fotos" gewähren.
Dort und vor den russischen Botschaften in London und Paris wurde die Forderung erhoben, Russland müsse sein Stimmrecht im Europarat verlieren, solange es Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ignoriere. Straßburg hatte geurteilt, dass die Verbote von LGBT-Demonstrationen gegen die Menschenrechte verstoßen. (nb)