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- 10. August 2011 4 Min.

Jungautor aus Hamburg: Gregor Grochol, Jahrgang 1980, wuchs in einer alternativen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft auf, die von seinen Eltern mitbegründet wurde (Bild: Männerschwarm Verlag)
Ein Schelmenroman ohne Schelm: Gregor Grochol hält in seinem Debüt-Roman "Blender" der Political Correctness den Spiegel vor - auf satirische Weise
Von Angelo Algieri
Das Meer - Ort melancholischer Sehnsucht, Symbol unendlicher Freiheit. Man hat gleich ein Gemälde des romantischen Malers Caspar David Friedrich vor Augen. Von einer solchen schmerzhaften Sehnsucht nach dem Meer erzählt der in Hamburg lebende Autor Gregor Grochol in seinem Romandebüt "Blender". Es ist im Männerschwarm Verlag erschienen.
Viktor, Ich-Erzähler und Protagonist, um die 20 Jahre alt, lebt in einer tristen, deutschen Vorstadt. Er ist Kneipenwirt und bedient die immer gleichen Stammgäste. Doch ihn treibt eine Sehnsucht: das Meer. Und so kommt es, dass er eines Mittags ausbricht: Er verlässt plötzlich die Kneipe. Ein Stammgast bringt ihn zum Bahnhof. Von dort aus steigt er in ein Regionalexpress, der ihn in Richtung Meer bringen soll. Im Zug findet er den dicken, sich mit Bier antrinkenden Fußballfan Erich sympathisch. Doch dieser beachtet Viktor kaum. Stattdessen legt sich Erich mit einem schwulen Pärchen an, das sich über dumme Fußballfans lustig macht. Erich schlägt einen von ihnen ins Gesicht. Viktors Sympathie für Erich tut dies keinen Abbruch. Im Umsteigebahnhof auf dem platten Land setzt sich Viktor zwischen Erich und einem "Neger". Dieser in Deutschland geborene Schwarze regt sich laut über Rassismus in der Provinz auf. Doch als ein Türke mit einem Schaffner über unehrenhaftes Verhalten schimpft, ist dieser Schwarze auch nicht vor Diskriminierung gefeit...
Bier, Likörchen und Heimatgefühle
Im Anschlusszug sucht der Ich-Erzähler wieder die Nähe zu Erich. Viktor wittert seine Chance um Anerkennung. Das Thema zwischen Erich und einer älteren Dame: Patriotismus und Heimat. Viktor ringt sich zu "Ich bin deutsch, und ich bin stolz darauf." Jetzt bekommt er die Anerkennung - sie stoßen gemeinsam mit Bier und Likörchen an. Als Erich schwankend an seinem Bahnhof aussteigt, entscheidet sich Viktor, ihn nach Hause zu begleiten. Als sie im Wald ankommen, stürzt Erich. Viktor hilft ihn auf und bringt ihn auf den Weg zurück. Doch Erich will ihn nicht wiedererkennen und stößt ihn ab. Daraufhin erschlägt ihn Viktor. Eri läuft durchgefroren vom eiskalten Regen zu einem Weiler. Dort empfängt ihn eine Großfamilie; er wärmt sich auf - doch kurz darauf stirbt er.
Dieser Erzählstrang wird von Episoden von Viktors Jugend unterbrochen. Es sind Szenen, in denen wir erfahren, dass Viktor aus einem christlich-alternativem Umfeld kommt - wie der Autor selbst - samt unangenehmer Pädagogik des Vaters. Darunter gibt es das gemeinsame Wichsen mit seinem besten Freund, die unerfüllte Liebe zu Karla und die Tötung der Familienkatze.
Autor Grochol, Jahrgang 1980, zeigt in seinem Roman die Heuchelei seiner Figuren. Mehr noch: Er hält der Political Correctness den Spiegel vor - auf satirische Art. Und es geht um eins: den Schein des Guten bzw. der Blender, lächerlich zu machen. So entlarvt er die Spießigkeit eines 50-jährigen Stammgastes: Victor entdeckt ihn auf dem Cover eines Pornoheftes. Oder auch wie der Vater moralisch einwandfrei zu sein scheint, und doch findet Viktor bisexuelle Pornovideos. Das schwule Pärchen ist die Parodie seiner selbst und fängt mit der Provokation an. Ein DDR-Nostalgiker und Antifaschist im Zug wettert gegen Israel.
Der Autor ist der wahre Schelm

Listiges Autoren-Leser-Spiel: Ich-Erzähler Viktor ist eine tragische Figur
Weitere Ironie: Viktor kommt aus einem alternativen, anti-deutschen Haushalt und scheint sich auf der Reise zu einem Rechtsnationalen zu entwickeln - alles nur, weil er nach Anerkennung, Wir-Gefühl und Authentischem sucht. Und das sieht er in Erich.
Ob es nun ein Schelmenroman à la von Grimmelshausen ist, wie es der Verlag im Schmutztitel - aber nicht auf dem Cover! - vorgibt, ist nicht eindeutig. Doch: Ein Schelmenroman ohne Schelm? Viktor ist lediglich eine tragische Figur, die durch seine Anwesenheit Scheinheiligkeit bei anderen feststellt. Weder durch Tolpatschigkeit noch durch List entlarvt er die Personen, die er begegnet. Allerdings: Der Protagonist wird durch den Autor geführt. Und wenn wir so wollen, ist Grochol der wahre Schelm. Somit ein Post-Schelmenroman?
Trotz Grochols listigem Autoren-Leser-Spiel erzählt er inhaltlich nichts Neues. Denn Political-Correctness-Bashing haben wir konsequenter und drastischer etwa beim Satire-Programm von Serdar Somuncu. Auch was den Zwiespalt zu Heimat für Heranwachsende angeht, beschreibt es treffender der ebenfalls in Hamburg lebende Autor Finn-Ole Heinrich (Jahrgang 1982) in "Räuberhände".
Fazit: Für ein Romandebüt hat der verheiratete Grochol einen von der Struktur her beachtliches Werk geschrieben - doch genügt er inhaltlich als Reflex zu der Sarrazin-&-Co-Debatte?
Gregor Grochol: Blender. Roman. Klappenbroschur. Männerschwarm Verlag, Hamburg 2011. 136 Seiten. 16 €
Release-Party am Freitag, den 12. August in Hamburg
Gregor Grochol stellt sein Romandebüt "Blender" am 12. August 2011 in Hamburg vor. Ort ist sein Atelier im Stadtteil Wilhelmsburg, Veringstraße 22 im Hinterhof (S-Bhf Veddel, dann mit Bus-Linie 13 bis Stübenplatz). Beginn: 20.30 Uhr. 5 Euro Eintritt. Für Getränke ist, laut Verlagsangaben, gesorgt.
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