Demonstration gegen den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes (Bild: linksfraktion / flickr / by 2.0)
Der Streit um Stuttgart 21 hat überraschende Nebenwirkungen: So geht am Hauptbahnhof die Zahl der Stricher zurück. Grund ist die Zeltstadt der Projektgegner.
Die Polizei vermeldete einen Rückgang der Stricher in der Nähe des Bahnhofs, erklärte der Leiter des Ermittlungsdienstes Prostitution, Wolfgang Hohmann, gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Die Stricher könnten sich nicht mehr ungehindert um das Bahnhofsgelände treffen, weil es dort weniger unbeobachtete Orte gebe.
Der Verein zur Förderung von Jugendlichen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten e.V. schätzt, dass zirka 300 bis 600 Stricher in Stuttgart arbeiteten, um sich einen kargen Lebensunterhalt zu sichern. Der Verein betreut gemeinsam mit der Stuttgarter Aids-Hilfe die Stricher, die meist jünger als 30 Jahre sind und zu 80 Prozent einen Migrationshintergrund haben. Weil die meisten von ihnen ein aus Gesellschaften mit Machokulturen - etwa aus Südosteuropa oder Nordafrika - stammten, trauten sich viele nicht, die Hilfe von Streetworkern anzunehmen: "Wenn man in Kulturkreisen aufwächst, wo ein anderes Männerbild herrscht und wo nicht offen mit Homosexualität umgegangen wird, ist das ein großes Problem", erklärte die Sozialpädagogin Silke Grasmann von der Stuttgarter Stricher-Hilfsorganisation. Außerdem sei in der deutschen Öffentlichkeit zwar heute männliche Prostitution weitgehend anerkannt - die Existenz von Strichern würde aber noch weitgehend tabuisiert werden.
Gleich hinter dem Hauptbahnhof liegt der Schlossgarten, der seit Monaten von Umbaugegnern in Beschlag genommen wird (Bild: Wiki Commons / Harke / CC-BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0GFDL)
Auch in anderen deutschen Städten sind Stricher, die an öffentlichen Plätzen ihre Dienste anbieten, mehrheitlich Migranten. Wie Sabine Reinke vom Kölner Stricherprojekt Looks e.V. berichtet, sind viele von ihnen Heterosexuelle. Ein typischer "Notlagenstricher" stamme demnach aus einem Dorf in Südosteuropa und sei nach Deutschland gekommen, um sich selbst und seine Familie im Heimatland zu unterstützen. Weil im deutschen Niedriglohnsektor aber inzwischen auch Einheimische um Jobs kämpften, bliebe den schlecht ausgebildeten Neuankömmlingen oft nichts anderes als die Prostitution übrig. Ein besonderes Problem sei auch das Misstrauen gegenüber den deutschen Ämtern: "Keiner traut den Behörden, wenn er weder Krankenversicherung noch Personalausweis hat und nicht weiß, wo er morgen schlafen soll", erklärte Reinke. (dk)