Ob der Kerl scharf ist, ist nicht so wichtig - entscheidend sind die Accessoires (Bild: Leather Gay - Nahkahomo / flickr / by-sa 2.0)
Die erotische Seite von Leder, Latex und Nylon. Ein kleiner Exkurs für Anfänger - von Armband bis Harness.
Von Dennis Klein
Stephan wirft sich jedes Wochenende in sein Leder-Outfit, um durch die Kölner Szene zu streifen. "Die härteste Zeit für mich ist Karneval", sagt er. "Dann denken die Leute, ich verkleide mich nur wie alle anderen. Aber ich verkleide mich nicht. Das bin ich."
Tatsächlich hat Fetischmode wenig mit Verkleiden zu tun. Durch ein provokatives oder extremes Outfit soll vielmehr darauf hingewiesen werden, dass man anders ist als die anderen. Vor allem kommt ein sexueller Aspekt hinzu: Materialien wie Leder, Latex oder Nylon haben für viele Menschen eine erotische Ausstrahlung, weil sie eben nicht in Alltagssituationen vorkommen.
Die Ursprünge der Fetischmode liegen weitgehend im Dunkeln. Zwar hat der Mensch, seit er Kleidung trägt, in besonderen Subkulturen gelebt und diese auch mit seinem Äußeren ausgedrückt. Wissenschaftler sehen den Anfangspunkt der modernen Fetischkleidung allerdings erst im 18. Jahrhundert, als Frauen Korsetts anlegten, um ihren besonderen Status zu demonstrieren.
Lederkerle machten den Anfang
Ein Harness allein macht noch keinen Kerl: amerikanische Leder-Queen beim Gay Pride (Bild: Wiki Commons / Thelmadatter / CC-BY-SA-3.0)
Den wirklichen Fetischboom läuteten jedoch die Schwulen nach dem zweiten Weltkrieg ein. Demnach entwickelte sich zunächst in London, dann weltweit, die Subkultur der Lederkerle. Sie trugen Lederklamotten, um sich so von der Norm abzusetzen. Außerdem wurde das Material alleine für diese Männer zu einer sexuellen Fantasie, die bald den Mainstream erreichte. Denn in den wilden Sechzigerjahren haben Musikgruppen wie The Who oder die Rolling Stones eine Jugendmode daraus gemacht. Selbst vor ehemals biederen TV-Serien machte der Trend nicht Halt: So zogen sich Honor Blackman und Diana Rigg stets enge Lederoutfits in der britischen Erfolgsreihe "Mit Schirm, Charme und Melone" an. Auch in Deutschland gehörte die Lederszene nach der Liberalisierung des Paragrafen 175 zu den sichtbarsten schwulen Vertretern - neben den Tunten.
Besondere Anziehung gerade in schwulen Kreisen üben Militäruniformen aus; insbesondere die, die aus Diktaturen stammen. Sie werden ausgewählt, weil sie nach wie vor als Provokation angesehen werden. Außerdem symbolisieren sie Macht, was in sexuellen Rollenspielen immer von Bedeutung ist. Die radikalste Ausprägung ist der "Nazi Chic". Oft sind hier zwar Symbole wie Hakenkreuze entfernt - in Deutschland wäre das ohnehin verboten. Auch die Popularität von Marken wie Londsdale, die auch unter Neonazis einen hohen Stellenwert genießen, passt in dieses Bild. Lonsdale war 2008 immerhin der Sponsor des größten CSDs Europas in Köln. Fetischmode ist damit immer auch ein Spiel mit dem Feuer. Doch wenn man sich nicht verbrennt, ist dieses Spiel für viele ein Erfolgserlebnis.
Vom Armband zum Harness
Männlichkeits-Kult: Die Lederszene hat äußerlich nicht zufällig viel gemein mit Motorradfahrern (Bild: Leather Gay - Nahkahomo / flickr / by-sa 2.0)
Der leichteste Einstieg in die Fetischkultur ist ein Armband, meist aus Leder. Damit signalisiert der Träger die Zugehörigkeit zu einer anderen Subkultur. Verstärkt wird dieses noch durch ein Halsband. Insbesondere Punks haben sich das Symbol zu eigen gemacht, allerdings ohne sexuelle Hintergedanken. Bei schwulen Fetischfans steht wiederum das Halsband hoch im Kurs, da es als Symbol von Unterwürfigkeit gilt. So sieht man in Fetischbars oft Männer mit Halsband an einem Hundenapf am Boden sitzen, während ihr sichtlich zufriedener Herr mit einer am Halsband befestigten Leine in der Hand sein Bier schlürft.
Besonders in Fetischclubs beliebt sind auch die Masken - insbesondere dann, wenn es anonyme Themenabende gibt. Die Gäste wissen dann nicht, ob sie es mit ihrem besten Freund oder ihrem Bankberater treiben, was viele als erotischen Kick ansehen.
Die Lederszene hat äußerlich viel gemein mit Motorradfahrern, die sich ebenfalls männlich geben und wegen des besonders starken Materials Leder tragen. Eine weitere Gruppe, die das Lederideal des harten, aber attraktiven Mannes erfüllt, sind die Cowboys. Von ihnen "klauten" sie die Chaps. Dabei handelt es sich um Beinkleider ohne Gesäß, die Cowboys beim Reiten tragen. Sie sollen die Beine und die Hosen etwa vor Dornengestrüpp oder den Hörnern der Rinder schützen. Dieses Outfit übernahm die Lederszene nur zu gerne. Besonders beliebt wurde es, da sich Chaps um den Hintern legen, ihn aber frei lassen. Cowboys ziehen zwar immer Jeans unter ihr Beinkleid an, beim Besuch des Fetischclubs ist allerdings der freie Zugang zum Arsch erwünscht.
Der Harness als Symbol der Rebellion
Auch der Harness (zu Deutsch: Geschirr) ist dieser landwirtschaftlichen Kultur der harten Männer entnommen. Diese dienen eigentlich dazu, Zugtiere einzuspannen. Die für Fetischmode hergestellten Harnesse bestehen - wie die für die Tiere - meist aus Leder, aber auch aus Nylon oder anderen Kunststoffen. An ihnen sind oft noch Sextoys eingearbeitet, etwa Nippelklemmen, ein Cockring oder ein Dildo. Damit verbindet der Harness das Symbol der Rebellion und kann auch zu öffentlichen Veranstaltungen wie dem CSD oder Folsom getragen werden. Aber in erster Linie soll er doch den Sex schöner machen.
Andere Materialien neben Leder haben auch den Zugang in die Szene geschafft: So sind Gummi und Lack weit verbreitet - beides sehr glatte Materialien, die so gar nichts mit unserer alltäglichen Baumwoll-Bekleidungskultur zu tun haben.
In der Zeit der Olympiade in 1936, als Hitler die Schwulenlokale wieder kurzfristig öffnen lies, um zu zeigen, wie weltstädtisch Berlin war, gab es darunter auch schwule Lederlokale.
Nach dem Krieg dauerte es sehr lange, bis sich die Szene erholen konnte. Noch in den 1970er Jahren gab es in Europa nur wenige Lederlokale, z.B. Gustis Ochsengarten in München, Argos in Amsterdam, Loreley in Hamburg und Coleherne in London. Wollten Schwule in Leder in andere Schwulenlokale, so wurde ihnen nicht selten die Tür vor der Nase zugeschlagen.