Den Protest gegen den Papst will nicht jeder verstehen - vor allem Berufspolitiker bemängeln fehlenden Respekt
Einen Tag vor der Rede des Papstes im Deutschen Bundestag hat sich die Diskussion um den Boykott durch einige Abgeordnete weiter verschärft. Etwa 100 Parlamentarier von SPD, Grünen und Linken wollen der Papstrede fernbleiben. Medienschätzungen zufolge kommen 30 aus der SPD und rund 35 aus der Linkspartei, bei den Grünen ist die Lage noch unklar.
Der offen schwule Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Volker Beck, sagte, der Papst biete genügend Anlass für fundierte Kritik und es gehöre zum Recht eines Abgeordneten, "auch fernzubleiben". Daher werde man die Verwaltung des Bundestages nicht bitten, die leeren Plätze zu füllen. "Wenn Plätze leerbleiben, bleiben sie leer", so Beck, der selbst an der Rede teilnehmen will. Abgeordnete seiner Fraktion wollen eine rote Aids-Schleife tragen. Mit Provokationen rechne er nicht, sagte Beck. Sollte der Papst allerdings provozieren, könnten die Abgeordneten darauf reagieren.
Das könnte der Fall sein, wenn der Papst sich zu Abtreibung oder Homo-Ehe äußert, so Beck. "Sollte sich der Papst in der Rede diskriminierend äußern oder rückwärtsgewandte Positionen vertreten, kann ich nicht ausschließen, dass ich den Saal verlasse", betonte auch der Abgeordnete Kai Gehring aus NRW. Auch der Kreuzberger Abgeordnete Hans-Christian Ströbele hat sich inzwischen entschieden, die Rede anzuhören. "Wie ich mich während der Papstrede verhalte, entscheide ich am Donnerstag in der konkreten Situation", sagte Ströbele der "Morgenpost".
Nach der Rede wollen einige Abgeordnete wie Beck zu der Anti-Papst-Demo wechseln. "Auch wenn der Papst kommt, wir lassen uns das Debattieren nicht verbieten", so der Politiker, der auf seiner Homepage zum Papst-Besuch die Sexualethik des Vatikans auseinandernimmt. Auch Grünenchefin Claudia Roth verteidigte den Boykott durch einige Abgeordnete: Das Recht auf freie Meinungsäußerung dürfe nicht eingeschränkt werden, wenn ein Staatsoberhaupt nach Deutschland komme, sagte sie der "Berliner Morgenpost". Mit Blick auf Themen wie Frauenrechte und die Gleichstellung Homosexueller sagte sie, es werde dem Papst "mal ganz gut tun, nach Berlin zu kommen und zu spüren, was Realität ist im Jahr 2011."
Stimmungsmache und Klein-Klein-Diskussion
Hans-Peter-Friedrich hält die Diskussion um die Einstellung des Papstes zur Homosexualität für nicht sonderlich wichtig
Bei der SPD sind die Stimmen verschiedener. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bezeichnete einen Boykott der Rede als "unhöflich". SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sieht das Fernbleiben von Abgeordneten bei der Papstrede hingegen nicht als Problem: "Dass es einzelne gibt, die aufgrund ihrer eigenen konfessionellen Haltung nicht im Deutschen Bundestag sein werden, sollte uns nicht veranlassen, von mangelndem Respekt zu sprechen", sagte Steinmeier.
Der Papst müsse mit dem Protest leben, sagte Linken-Chefin Gesine Lötzsch, die selbst an der Rede teilnehmen will. Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, nannte die Diskussion abenteuerlich: "Das erinnert mich an eine Zeit vor 30 Jahren, als man an bestimmten Sachen zwingend teilnehmen musste, um nicht gesellschaftlich diskreditiert zu sein", so Gysi. "Ich finde es bedenklich, dass Papst Benedikt XVI ein privilegiertes Rederecht gewährt wird. Ich sehe viele Positionen des Papstes als kritisch an und protestiere dagegen, dass der Papst die Grundrechte von Menschen beschneiden möchte", sagte Barbara Höll, die Sprecherin für Lesben- und Schwulenpolitik der Partei. "Ich werde während der Rede von Papst Benedikt XVI an der bunten Bündnisdemonstration 'Keine Macht den Dogmen' teilnehmen. Ich trete ein für Geschlechterdemokratie, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihren Körper, die völlige Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen und halte Kondome für ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen die Ausbreitung der HIV-Infektion."
Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) nannte Benedikt XVI. in einer Pressemitteilung einen "hoch willkommenen Gast". Als gläubigen Katholiken sei es für ihn "unerlässlich, mein Handeln auf einem Fundament menschlicher Werte aufzubauen, die mich inspirieren". Daher freue er sich auf Anregungen und Denkanstöße. Er rief dazu auf, dem Pontifex zuzuhören: "Auch wer ihm nicht folgen will oder kann, sollte die innere Offenheit aufbringen, sich mit seinen Worten unvoreingenommen auseinanderzusetzen." Der FDP-Abgeordnete Michael Kauch will im Bundestag eine "Regenbogenkrawatte" tragen. "Sie soll daran erinnern, dass die Politik des Vatikans in Sachen Homosexualität die Menschenrechte verletzt", so Kauch. "Der Vatikan hat in den Vereinten Nationen wiederholt gemeinsam mit Staaten wie Saudi-Arabien gegen die Menschenrechte Homosexueller agiert - zuletzt im Menschenrechtsrat der UN im März 2011. Diese Menschenrechtspolitik des Vatikan muss sich ändern."
Die Unions-Fraktionen hatten bereits seit Tagen den Redeboykott heftig kritisiert (queer.de berichtete). CDU-Vize-Chefin Annette Schavan äußerte nun, sie habe für die Proteste "kein Verständnis". Der Papst sei nicht nur Kirchen-Oberhaupt, "sondern auch einer der größten Denker unserer Zeit". "In dieser Weise einer so bedeutenden Persönlichkeit im Bundestag den Respekt zu verweigern, finde ich beschämend, ja schäbig", sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Missbrauchsfälle würden "für eine anti-katholische Stimmungsmache genutzt".
Am meisten Kritik regte sich aber an einem Interview des Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) mit dem "Tagesspiegel". In dem Boykott zeige sich "eine Mischung aus Hochmut und Kleingeist, aus Provinzialität und Überheblichkeit", attestierte der protestantische Politiker. Kritik an der Einstellung des Papstes zu Homosexualität tat er als "Klein-Klein-Diskussion" ab: "Dass man die Heterosexualität als den Normalfall und den von der Natur und Gott vorgesehenen Fall ansieht, ist eine feste Überzeugung der Kirche. Darüber kann man auch anderer Meinung sein, aber man muss sich deshalb nicht diskriminiert fühlen."
Der Protest überdecke das Wesentliche, so Friedrich: "Es gibt eine Sehnsucht der Menschen nach geistlichen Werten (...) Überall dort, wo Religion keine Rolle mehr spielt, ist die Gefahr des Abgleitens in Menschenverachtung und Diktatur sehr groß. Ich glaube, dass es heilsam für Gesellschaften ist, wenn Religion die Verantwortung gegenüber Gott und den Mitmenschen einfordert. Religiöse Menschen haben eine positive Einstellung zum Leben und ihren Mitmenschen." Das SPD-Fraktionsvorstandsmitglied Sebastian Edathy kritisierte die Äußerungen gegenüber dem "Handelsblatt": "Es ist nicht Aufgabe von Mitgliedern der Bundesregierung, Mitgliedern des Bundestages Verhaltenshinweise zu geben." "Herr Friedrich sollte mal einen Gang herunterschalten", empfahl Volker Beck.
Der Papst kann kommen
Die Route der Demo vom Bündnis "Der Papst kommt". Ein Start am Brandenburger Tor war ihm von Polizei und Gericht verboten worden.
Inzwischen sind die Vorbereitungen für die große Demo des Bündnisses "Der Papst kommt" abgeschlossen. Bei der von Frauke Oppenberg und Holger Wicht moderierten Auftaktkundgebung am Postdamer Platz werden ab 16 Uhr kurze Ansprachen zu den Themen Frauen- und Geschlechterpolitik, Homosexualität, sexuelle und reproduktive Rechte, Kondompolitik sowie Trennung von Kirche und Staat gehalten. Zudem werden Uta Ranke-Heinemann, zwei ehemalige Priester sowie mehrere Bundestagsabgeordnete auf der Bühne erwartet. DJane Monique sorgt für die musikalische Begleitung.
Dann zieht die Demo unter dem Motto "Keine Macht den Dogmen" über Ebertstraße, Hannah-Arendt-Straße, Französische Str., Glinkastraße, Unter den Linden bis zum Bebelplatz, wo ab 19.00 Uhr David Berger, Dr. Schmidt Salomon und Mina Ahadi vom Zentralrat der Ex-Muslime sprechen werden, dazu gibt es Musik von DJane Marusha. Der Demonstrationszug selbst wird von einem Papa-Mobil mit zwei Päpstinnen und zwei Päpsten und dem gemeinsamen Banner des Bündnisses mit Ralf König-Karikatur angeführt. Weitere Wagen gibt es vom Verein Tauwetter/Wildwasser, von ver.di AK LSBT, vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg, von der LAG Queer der Linken, dem Humanistischen Verband Deutschland in Berlin, der Berliner Aids-Hilfe, der AG Sexuelle Selbstbestimmung, den Jusos Berlin, der "Not welcome"-Kampagne und "Lichtblicke der Seele". Auch viele Fußgruppen sind dabei, darunter der "Block der Gesichtslosen" mit Opfern sexueller Gewalt.
Andere Protestbündnisse planen zusätzlich, den Papst bereits bei der Ankunft am Flughafen Berlin-Tegel zu "begrüßen". Den Tag über soll es "kreative Proteste an Orten des Papstbesuches und Public-Viewing-Punkten der Papst-AnhängerInnen" geben sowie "überraschende Audienzen der Päpstin Rosa I.", verspricht das Bündnis "Der Papst in Berlin? What the fuck!". Am Abend ist noch eine "kleine Nachtmusik" in der Nähe der Schlafstätte des Papstes am Südstern geplant, auch in Erfurt und Freiburg soll es Proteste geben. Queer.de wird den Besuch des Papstes mit einem Live-Blog begleiten.
Aber auch in der Szene ist nicht jeder mit dem Protest glücklich. In einem Kommentar kritisierte der "hinnerk"-Chefredakteur Stefan Mielchen, der LSVD überhöhe das Ereignis, "um sich selbst entsprechend in Stellung bringen zu können und medial hiervon zu profitieren." Klerus und LSVD eine der "schleichende Bedeutungsverlust": "Das macht es für beide Seiten so attraktiv, sich aneinander abzuarbeiten. Dass man hierdurch den jeweiligen Gegner nur wichtig macht, scheint keinen der Beteiligten ernsthaft zu interessieren." (nb)