Vom 22. bis 25. September 2011 besuchte Benedikt XVI. Deutschland. In Berlin gab es lange Vorab-Diskussion um eine letztlich akademische, aber politische wie konservative Rede im Bundestag und einen großen Gegenprotest des Bündnisses "Der Papst kommt" mit 15.000 Teilnehmern.
Weitere Demos und Aktionen gab es auch in Erfurt und Freiburg, den weiteren Stationen des Besuches. In zwei Reden mit Vertretern von muslimischen und orthodoxen Gemeinden forderte der Papst zum gemeinsamen Kampf für das Fortbestehen des traditionellen Bildes von Ehe und Familie auf – also gegen die Homo-Ehe. Auch seine Bundestagsrede über "Natur und Vernunft" als Leitbild für Politiker kann so gelesen werden, dass sie die vatikanische Ansicht von Sexualität enthält.
Für Queer.de fasste Norbert Blech die Meldungen in diesem Live-Blog zusammen, aus Berlin ergänzt von Christian Scheuß.
Live-Ticker (abgeschlossen, chronologisch)
Der Papst ist soeben am Flughafen Freiburg/Lahr in seine Maschine gestiegen, sein Deutschland-Besuch 2011 abgeschlossen. Wir beenden dieses Live-Blog und bedanken uns für das überdurchschnittliche Interesse und die vielen Kommentare. Sollten wir noch Details aus dem Treffen des Papstes mit Bundesverfassungsrichtern erfahren, die für unsere Zielgruppe interessant sind, werden wir diese nachtragen.
Zum Abschluss die Demo "Der Papst kommt" in voller Länge:
(Teil 2)
Mit der "Zusicherung eines Gebetes für alle" hat der Papst soeben seine letzte Rede in Deutschland gehalten. Auf dem Flughafen sagte Benedikt XVI., er erinnere sich an seine Rede im Bundestag, an die "Gedanken über die geistigen Fundamente des Rechtsstaats". "Ich ermutige die Kirche in Deutschland, mit Kraft und Zuversicht den Weg des Glaubens weiterzugehen,
der Menschen dazu führt, zu den Wurzeln, zum wesentlichen Kern der Frohbotschaft Christi zurückzukehren."

Zuvor hatte der Bundespräsident den Papst verabschiedet. Er sei "dankbar über den Besuch", der Papst habe "Orientierung und Maßstäbe vermittelt, die nicht immer bequem sind". Benedikt XVI. habe Hoffnung gemacht und "viele Menschen begeistert und angespornt", die Ökumene belebt. Kritische Zwischentöne sparte der Bundespräsident aus. Im Vergleich zur Begrüßungsrede von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) blieb Wulff damit überdiplomatisch. Lammert hatte den Papst ins deutsche Parlament eingeladen.
Auch der Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, äußerte sich enttäuscht über den Papst-Besuch. "50 Prozent unserer christlichen Ehen sind konfessionsverschieden, da hätte ich mir schon gewünscht, dass da zu diesen Fragen doch auch mal einige deutlichere Ansagen kommen, wie es weitergehen soll. Das habe ich schon etwas vermisst, ehrlich gesagt", sagte Kretschmann der ARD. Er hätte sich auch mehr Aussagen zur Ökumene erwünscht, eine Aufweichung der Sexualmoral oder eine Abschaffung des Zölibats allerdings gar nicht erwartet.
Die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" hat sich tief enttäuscht über den Papst-Besuch gezeigt. Zur Ökumene schreibt die Bewegung in einer Pressemitteilung: "Die atmosphärisch freundliche Begegnung im Erfurter Augustinerkloster kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass von diesem Papst keine weiteren Impulse zu erwarten sind, obwohl er bei seiner Wahl zugesagt hatte, sich für konkret sichtbare Zeichen der Ökumene einzusetzen." Es sei nun für Gläubige "Recht und Pflicht, nicht mehr auf weitere Schritte der Kirchenleitung zu hoffen, sondern dem eigenen Gewissen zu folgen." Der "modern argumentierenden Rede im Bundestag" des Papstes attestierte die Bewegung einen "vormodernen Kern": "Der Papst akzeptiert den eigenständigen Stellenwert des Gewissens ohne jeden Vorbehalt, aber er bindet es ebenso vorbehaltlos an objektive, vorgegebene Normen, die Sexualität etwa an die Zeugung von Nachkommen."
Die Grundsatzrede des Papstes war vergleichsweise kurz, er forderte, die Kirche müsse sich von "ihrer materiellen und politischen Last" trennen, wobei recht offen ist, was damit konkret gemeint sein könnte. Auf Fragen wie Ökumene, Sexualmoral u.ä. ging er nicht ein.

Der Papst hält jetzt eine Grundsatzrede im Freiburger Konzerthaus vor zahlreichen geladenen Gästen, darunter zahlreiche Bischöfe, der Moderator Thomas Gottschalk sowie Bundespräsident Wulff, Ministerpräsident Kretschmann, Freiburgs Oberbürgermeister Salomon und Bundesinnenminister Friedrich.
Massengottesdiest in Freiburg. Keine besonderen Vorkommnisse.
Wir möchten übrigens nachtragen und betonen, dass weder die Vertreter der muslimischen Gemeinden noch die der orthodoxen Kirchen in ihren Reden vor dem Papst etwas über eine vermeintlich zu schützende Ehe gesagt haben.
Wir müssen uns korrigieren: Der Papst ist heute nicht zum ersten Mal bei diesem Besuch auf die Homo-Ehe eingegangen. In der ebenfalls nicht öffentlichen, aber später veröffentlichten Rede vor Vertretern der muslimischen Gemeinde am Freitag in Berlin sagte er:
Als Menschen des Glaubens können wir, von unseren jeweiligen Überzeugungen ausgehend, ein wichtiges Zeugnis in vielen entscheidenden Bereichen des gesellschaftlichen Lebens geben. Ich denke hier z. B. an den Schutz der Familie auf der Grundlage der Ehegemeinschaft, an die Ehrfurcht vor dem Leben in jeder Phase seines natürlichen Verlaufs oder an die Förderung einer größeren sozialen Gerechtigkeit.
Der Gesamttext der Rede (PDF) ist übrigens lesenswert: Der Papst lobt die deutsche Verfassung, deren Väter "auf die Menschenwürde und die Verantwortung vor Gott" abgestellt hätten. Das Grundgesetz sei ein Fundament, das dem Pluralismus seine Grenzen zeige: "Es ist nämlich nicht denkbar, daß eine Gesellschaft sich auf lange Sicht ohne einen Konsens über die grundlegenden ethischen Werte halten kann." Die Basis des Grundgesetzes sei die "Anerkennung einiger unveräußerlicher Rechte(...), die der menschlichen Natur eigen sind". Nimmt man das Naturbild des Vatikans hinzu, kann es also interessant werden, was der Papst am Sonntag den Richtern des Bundesverfassungsgerichts erzählt.
Wir sind übrigens recht enttäuscht von der deutschen Journaille. Die wenigsten Medien haben herausgearbeitet, was der Papst mit "Natur und Vernunft" meint, der Begriff, den er so oft im Bundestag verwendete. Und am Freitagmorgen hatten wir uns dummerweise auf einen ZDF-Bericht verlassen, in der das hier beschriebene Treffen des Papstes mit Muslimen so beschrieben wird, dass der Papst Muslime zur Einhaltung des Grundgesetzes ermahnt und zu Toleranz aufruft (wo er in Wirklichkeit dem Grundgesetz und der Toleranz für beide Religionen Grenzen setzte). Den heutigen Aufruf zum "Schutz" von Ehe und Familie hat übrigens bislang nur das Portal "Der Westen" aufgegriffen.
Die Gebetsvigil mit hauptsächlich Kindern und Jugendlichen ist am Samstag auf dem Messegelände ohne eine weitere problematische Äußerung des Papstes zu Ende gegangen.

Es herrschte regelrechte Festivalatmosphäre, in der der Papst die meisten Übel der Welt beklagte. Nach seinen erneuten Äußerungen zur Homo-Ehe hat das freilich wenig von Love, Peace and Harmony, eher was von Bigotterie. Viele der Jugendlichen werden heute Nacht in Zelten auf dem Gelände übernachten. Wir hoffen, sie sind eigenständig genug, Kondome eingepackt zu haben.

Damit endet der Papst-Besuch für den Samstag. Morgen gegen 10 Uhr liest der Papst eine Heilige Messe auf dem Flugplatz, dann speist er mit der Deutschen Bischofskonferenz und lässt das Bundesverfassungsgericht im Freiburger Priesterseminar antanzen. Dann spricht er vor "engagierten Katholiken" im Freiburger Konzerthaus. Um 18.45 Uhr gibt es eine letzte Ansprache des Papstes bei einer Abschiedszeremonie auf dem Flughafen Lahr, auch der Bundespräsident kommt noch einmal zu Wort.

Landung: 10.30 Uhr