Horror-Thriller – Neues Genre, doch unverkennbar Almodóvar (Bild: Tobis Film)
Pedro Almodóvar hat mit "Die Haut, in der ich wohne" ein Schauermärchen inszeniert. Antonio Banderas spielt einen skrupellosen Arzt.
Von Carsten Weidemann
Pedro Almodóvar betritt neues filmisches Terrain und bleibt doch unverkennbar. Denn in dem ebenso schaurig-verstörenden wie betörenden Psychothriller geht es auch um die körperliche Verwandlung eines Mannes in eine Frau. Das Spiel mit Geschlechtern und Geschlechterrollen ist seit je Almodóvars große Spielwiese.
Die Story: Bei einem tragischen Autounfall erleidet Gal, die Frau des angesehenen plastischen Chirurgen Dr. Robert Ledgard, schwerste Verbrennungen. Sie überlebt den Unfall, ist aber gänzlich entstellt und fristet ein menschenunwürdiges Dasein in einem komplett abgedunkelten Zimmer. Trotz der aufopfernden Pflege ihres Mannes stürzt sie sich in den Freitod, nachdem sie erstmals nach dem Unfall ihr vernarbtes Antlitz in der Spiegelung einer Fensterscheibe sieht. Von diesem Moment an arbeitet Ledgard in seiner Freizeit fieberhaft daran, eine widerstandsfähige, künstliche Haut zu entwickeln, die Gal das Leben hätte retten können.
Hautverpflanzung und Geschlechtsangleichung
Nach zwölf Jahren unermüdlicher Forschungsarbeit am größten Organ des menschlichen Körpers im Privatlaboratorium seines abgeschiedenen Landhauses El Cigarral ist es endlich soweit: Ledgard hat eine absolut makellose, künstliche Haut erschaffen, die gegen äußere Einflüsse vollkommen resistent ist. Was für eine bahnbrechende Erkenntnis auf dem Gebiet der Zelltherapie, was für ein Durchbruch für die Menschheit! In der treu ergebenen Haushälterin Marilia (Marisa Paredes) hat er eine verschwiegene Assistentin. Aber woher nimmt man ein menschliches Versuchsobjekt, das die ebenso riskante wie schmerzhafte Transplantation über sich ergehen lässt?
In Spanien, so berichten die Medien, verschwinden jedes Jahr Dutzende junger Männer und Frauen spurlos. Manche kehren irgendwann zurück, viele aber bleiben verschollen, wie zum Beispiel Vicente (Jan Cornet), der von seiner Mutter (Susi Sánchez) als vermisst gemeldet wird. Nach der schönen jungen Vera (Elena Anaya) indes, die auf dem wie ein Hochsicherheitstrakt geschützten Anwesen Dr. Ledgards gefangen gehalten wird, sucht niemand. Andernorts weggesperrt ist auch Ledgards suizidgefährdete Tochter Norma (Blanca Suárez), aber das geschieht zu ihrem eigenen Schutz.
Antonio Banderas am Rande des Nervenzusammenbruchs
Das Biest und die Schöne (Bild: Tobis Film)
Eines Tages steht ein eigenartiger Mann in einem lächerlichen Tigerkostüm am Tor des Ledgardschen Hauses und bittet um Einlass. Er gibt sich als Marilias Sohn Zeca (Robert Álamo) zu erkennen, von dem Marilia seit Jahren nichts gehört hatte. Zeca setzt Dinge in Gang, die mit lange verdrängten, traumatischen Vorkommnissen in der Vergangenheit zu tun haben. Bald überschlagen sich die Ereignisse und erst ganz am Ende wird deutlich, wer eigentlich in welcher Haut wohnt – und in wessen Haut man lieber nicht stecken möchte: Ein Gänsehautfinale!
Mit dem Film verbeugt sich der schwule Regisseur durch viele Zitate vor den großen Meistern des Horrors und des Suspense, wie James Whale (Frankenstein, 1931) oder Alfred Hitchcock. Antonio Banderas, der in diesem Jahr bereits seinen 50. Geburtstag feierte, stand mal wieder für Almodóvar, der ihn entdeckt hatte, vor der Kamera. Banderas spielte 1982 in der trashigen Komödie "Labyrinth der Leidenschaften" einen schwulen schiitischen Terroristen. Und in "Das Gesetz der Begierde (1987) ist er als besessener Fan und leidenschaftlicher Liebhaber eines selbstverliebten homosexuellen Regisseurs zu sehen. Der Latin Lover Hollywoods gibt im aktuellen Film einen überzeugend finsteren Doktor, der ethische Grenzen überschreitet.
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