In Festland-China undenkbar: Beim Taiwan Pride treffen lesbische "Polizistinnen" auf halbnackte Ledermänner (Bild: Martin Aldrovandi)
In Taipeh fand am Samstag Asiens größte Schwulen- und Lesbenparade statt. Viele Teilnehmer leiden unter den traditionellen Wertvorstellungen in Taiwan.
Von Martin Aldrovandi
Auf dem Boulevard vor dem Präsidialamt in Taipeh haben sie sich am Samstag aufgestellt: Die Südpazifik-Schwestern, der schwule Schwimmverein und die Rainbow Kids. Über 100 Gruppen sind an der Parade vertreten, rund 50.000 Teilnehmer hätten dieses Jahr mitgemacht, so die Veranstalter. Ein neuer Rekord für Asiens ohnehin schon größter Schwulen- und Lesbenumzug. Es ist eine Parade, die so im kommunistischen (Festland-)China undenkbar wäre. Im demokratischen Taiwan dagegen werden für die "Genossen", wie sich die Schwulen auf Chinesisch selbst nennen, ganze Straßenzüge gesperrt. Sie marschieren in zwei Richtungen queer durch die Hauptstadt Taiwans, um sich am Schluss wieder vor dem Präsidialamt zu treffen.
Es ist Taipehs neunter Umzug. 2003, als die Parade zum ersten Mal stattfand, erschienen viele der damals wenigen hundert Teilnehmer in Masken, weil sie nicht erkannt werden wollten, erinnert sich Liu Ching-hung vom Organisationskommittee des Taiwan Pride. Masken sind 2011 kaum noch zu sehen, dafür buhlen Dragqueens auf Stöckelschuhen, Bären in Fellen und Wikingerhelmen und Lesben in knappen Polizeiuniformen um die Aufmerksamkeit der Fotografen.
Polizei-Schikanen noch in den neunziger Jahren
Zwischen Tradition und Moderne: CSD-Teilnehmer in tradionellen Gewändern (Bild: Martin Aldrovandi)
Dies war jedoch nicht immer so. "Bis weit in die neunziger Jahre belästigte die Polizei uns in den einschlägigen Bars und Szenetreffs", sagt Liu. Auch er selbst sei im Park mehrmals von der Polizei kontrolliert worden. Die Polizisten hätten Schwule regelmässig festgenommen und ihnen gedroht, sie bei ihren Eltern oder dem Arbeitgeber anzuschwärzen. Inzwischen ist Taiwans Gesellschaft sensibilisierter, was den Umgang mit sexuellen Minderheiten angeht. So gibt es ein Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz, ein weiteres sieht Homosexualität im Lehrplan der staatlichen Schulen vor.
Das diesjährige Motto des Taiwan Pride ist "LGBT wehrt Euch! Weg mit Diskriminierungen". Wegen der vielen Fortschritte in den vergangenen Jahren, sagt Liu Ching-hung, vergesse man leicht, dass Schwule und Lesben noch immer diskriminiert würden.
Taiwans Schwule und Lesben hoffen auf die Öffnung der Ehe
So dürfen gleichgeschlechtiche Paare in Taiwan noch immer nicht heiraten. Zwar erarbeitete die ehemalige Regierungspartei vor rund zehn Jahren einen Gesetzesvorschlag, doch wurde dieser nie umgesetzt. Auch die aktuelle Regierung unter Präsident Ma Ying-jeou hat sich bisher nicht für eine Homo-Ehe eingesetzt. Mas Herausforderin, Tsai Ing-wen der Oppositionspartei DPP, die im Januar gegen ihn antritt, verspricht zumindest, dass sie sich als Präsidentin für ein Partnerschaftsgesetz stark machen werde.
Das alles habe er schon so oft gehört, sagt Nelson Chen, der seinen Freund vor fünf Jahren geheiratet hat. Es blieb jedoch bei einer Zeremonie, denn rechtlich ist die Beziehung der beiden in Taiwan nicht anerkannt. Trotzdem haben sowohl die Verlobung als auch die Hochzeitsfeier, der sogar Chens 102-jährige Großmutter beiwohnte, für ein großes Medienecho gesorgt.
Die Reaktionen auf seine Hochzeit seien fast ausschliesslich positiv gewesen, sagt Chen. Dies beweise, dass die taiwanische Gesellschaft toleranter sei als die Politik, ist der 40-jährige überzeugt. An dieser sei es nun, die Menschenrechte auch für die Homosexuellen zu garantieren und nicht immer nur kurz vor den Wahlen unverbindliche Versprechen abzugeben.
Die Toleranz endet oft in der eigenen Familie
Taiwan Pride als Touristen-Event: Dieser spärlich bekleidete Japaner war nicht der einzige Ausländer auf der Parade (Bild: Martin Aldrovandi)
Grundsätzlich seien die Taiwaner tolerant, sagt auch Chiwei Cheng der Tongzhi-Hotline, die telefonische Beratung rund um Homo-, Bi- und Transsexualität anbietet. Die Toleranz höre aber meist auf, wenn es sich um das eigene Kind handelt, so Cheng. In Taiwan werde Homosexualität zwar nicht wie im Christentum als Sünde gesehen, jedoch würden viele Schwulen und Lesben unter konfuzianischen Wertvorstellungen leiden. Gehorsamkeit gegenüber den Eltern ist ein zentraler Bestandteil des Konfuzianismus - dazu gehört auch, für Nachwuchs zu sorgen.
Auf diese Werte setzte vor einem halben Jahr die christlich geprägte "Allianz der wahren Liebe", als sie geplante Schulbücher zur Sexualkunde attackierte. "Sie sagten, die Kinder würden im Unterricht zum Schwulsein verführt", ärgert sich Chiwei Cheng. Nach einer landesweiten Unterschriftensammlung gab das Bildungsministerium schliesslich nach und verzichtete vorerst auf die umstrittenen Lehrmittel. Von einem unverkrampften Umfang mit Schwulen und Lesben sei Taiwans Gesellschaft noch weit entfernt, so Cheng.
Viele der taiwanischen Eltern, die die Homosexualität ihrer Kinder nach einer bestimmten Zeit akzeptieren, bestehen deshalb darauf, dass diese geheim gehalten wird. Nelson Chen sagt, dass sein Vater am Anfang von ihm verlangt habe, dass er trotzdem eine Frau heirate. Der Vater habe nicht verstehen können, weshalb der Sohn nicht wenigstens so tun könne, als sei er heterosexuell.