Ready... (Bild: Discodamaged)
Eine neue Doku klappert in 27 Minuten alle Aspekte ab, die für schwulen Sex in den Zeiten von Aids bedeutsam sind. Zum Welt-Aids-Tag läuft sie in Berlin.
Von Carsten Weidemann
"The Bareback Issue" lautet der Titel des Streifens. Ein Thema, bei dem bei allen Beteiligten die Adern anschwellen. Die Präventionisten in den Aids-Hilfen sind genervt, weil dieser Begriff so verflachend ist und die Debatten über Safer Sex in die falsche Richtung lenkt. Die Moralapostel missbrauchen ihn, um ihrem Ziel näherzukommen, den Menschen nach ihren Vorstellungen durch Einschränkungen seiner Freiheit zu (ver)formen. Die Ängstlichen verstecken sich dahinter, weil sie nichts mehr fürchten als die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Und jetzt also eine Doku über dieses emotionale Pulverfass, das kann doch eigentlich nur schiefgehen, oder?
So skeptisch eingestimmt sorgt der 27-minütige Film bereits in den ersten 60 Sekunden für eine Überraschung. Keine bedrohliche Gruselmusik, mit der die Kamera durch Dunkelräume irrt, keine Klagelieder aus dem Off, die darüber jammern, dass alles immer schlimmer wird. Stattdessen frech-forscher Punk über einer grobkörnigen Schwarz-Weiß-Szene, die zwei Männer beim lustvollen Fick zeigt. Verwenden sie ein Kondom? Das wird nicht gezeigt. Aber es wird auch nicht gezeigt, dass sie es nicht nutzen. Eine Schlüsselszene, die das individuelle Dilemma eines jeden schwulen Mannes symbolisiert, der sich mit einem anderen Mann vergnügen will. Brauche ich jetzt ein Kondom, oder kann ich es weglassen, und welches Risiko gehe ich damit ein?
"Unsafe Sex ist zurück!" sagen die Filmemacher. Die Zahlen sprechen dagegen
...Steady... (Bild: Discodamaged)
Der Berliner Künstler und Filmemacher Alexander Huber ist zusammen mit dem unter dem Pseudonym "Discodamaged" bekannten Betreiber zweier Gay-Partywebsites mutig an die Sache herangegangen. Leider auch etwas voreingenommen. Ihre individuellen Beobachtungen der schwulen Party- und Sexszene in London und Berlin lässt sie schlussfolgern: "Nach jahrelangen Safer-Sex-Kampagnen ist der unsafe Sex zurück und wesentlich verbreiteter in der schwulen Szene als mancher zugeben mag." Die Belege, die aus diesem Bauchgefühl Fakten machen würden, bleiben sie schuldig. Es ist ein zusätzlicher grober Schnitzer, nicht zu erwähnen, dass die Studien zum Sexverhalten schwuler Männer in Deutschland seit Jahren eine konstant hohe und regelmäßige Kondomnutzung bescheinigen, und damit klar ist, dass sich eben nicht immer mehr zu Bareback - dem bewussten generellen Verzicht auf das Kondom - entscheiden.
Das Berliner Robert Koch-Institut hat in dieser Woche die These der Filmemacher zusätzlich ausgehebelt. Froh vermeldete die Einrichtung, dass die Zahlen der HIV-Neuinfektionen rückläufig seien. Auch bei schwulen Männern. Also wenn da angeblich der unsafe Sex in großem Ausmaße aus der Versenkung wieder aufgetaucht ist, wo sind denn dann die vielen Infizierten, die sich daraus längst hätten ergeben müssen?
Die drei HIV-positiven Männer, die allesamt anonymisiert gezeigt werden, bringen die "Sache mit dem Bareback" wieder zurück auf den schwulen Schlafzimmerflokati. Sehr reflektiert und engagiert berichten sie darüber, wie und in welchen Situationen sie sich infiziert haben. Wie häufig statt einer direkten Klärung des Immunstatus reine Vermutungen dazu herhalten, sich für oder gegen Safer Sex zu entscheiden. Wie schwer es mitunter ist, den guten Vorsatz im Eifer des lustvollen Gefechts umzusetzen, vor allem wenn man besoffen oder sonst wie chemisch bedröhnt ist. Das man sich nach besten Wissen und Gewissen für eine Risikominimierungsstrategie entscheiden und dennoch damit falsch liegen kann, weil sie, so einer der Befragten "für meine Art des Sexuallebens nicht die Richtige war".
"Ich war fasziniert davon, lauter Männer ohne Kondom ficken zu sehen."
...GO! (Bild: Discodamaged)
Ungeniert berichtet auch ein Mitglied der queeren Punkband "Nuclear Family" - der Sänger Nikolaj Tange Lange - von seiner Faszination, als er das erste Mal in einem Sexclub lauter Männer ohne Gummi vögeln sah. Zwei Mediziner liefern zudem die wichtigen Fakten zu Übertragungswegen- und Risiken. Dass alles Wissen um medizinische Vorgänge nicht ausreicht, um Lebensrealitäten zu erkennen, beweist unfreiwillig der Berliner Dermatologe Alex Rothhaar. Im Interview rät er weltfremd, doch besser nicht auf Bareback-Partys zu gehen und immer das Kondom zu benutzen.
"The Bareback Issue" malt - trotz falscher Prämisse - keinen HIV-Teufel an die Wand. Die Doku inszeniert keine sorg- und verantwortungslosen Hasadeure, die sich und andere mutwillig schädigen wollen, sondern lässt Betroffene zu Wort kommen, die sich verantwortungsvoll mit ihrer Infektion und deren Folgen auseinandersetzen. Ihre Geschichten untermauern die alte Volksweisheit, dass das Leben schlicht keine hundertprozentigen Sicherheiten kennt.
Aufführungstermine
Mittwoch, 30.11., ab 23 Uhr, jede halbe Stunde Wiederholung, Schwuz, Mehringdamm 61, Berlin-Kreuzberg
1.,2. und 3.12., 20:30 Uhr, Fab Lab, Muskauer Strasse 49, Berlin-Kreuzberg
Wie beweist man,dass immer mehr Männer beim Sex leichtsinnig sind und ohne Gummi pimpern???
Die Behauptung des Autors,die Filmemacher würden ihre Behauptung nicht "belegen",ist genauso dumm wie naiv!
Ich stimme den Filmemachern zu und stütze deren Behauptung und wer Beweise sucht,gehe in die Szene-Treffpunkte,halte die Augen weit auf und sehe schlicht und einfach,wie selten das Gummi beim Poppen eine Rolle spielt!!!
Und, wer es nicht wissen will,lässt sich nicht testen! Die bewusste und vielleicht berechtigte Angst vor dem positiven Ergebnis spielt da mit.