Unterschiedlicher Immunstatus, na und? Ralf (o.) und Andreas (Bild: Dietrich Dettmann)
Ralf ist HIV-positiv, Andreas HIV-negativ. Wie ein schwules Paar in Essen mit der Infektion in der Beziehung umgeht.
Von Christian Scheuß
Es ist gerade mal ein knappes halbes Jahr her, da begannen die Schmetterlinge in Ralfs Bauch heftig mit dem Flattern an. Das Herz tanzte: Endlich mal wieder verliebt! Der 41-Jährige Essener freute sich ein Loch in den Bauch, nach jahrelangem Single-Leben mal jemanden getroffen zu haben, der so ganz auf seiner Wellenlänge lag, und bei dem die Glückshormone ebenfalls strömten, wenn sie sich sahen. Andreas (28) hatte gerade eine Beziehung hinter sich und sich deshalb bei Gayromeo neu angemeldet. So verabredete man sich, erst mal nur zum Kaffee, und der Funke sprang gleich über. Tag für Tag trafen sich beide, wann immer es ging, und redeten stundenlang miteinander. Sex? Den hatten sie erst nach einer Woche.
Scheint so, als sei dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, doch es gab ein kleines Problem. Ralf weiß seit acht Jahren, dass er HIV-positiv ist. Keine einfache Aufgabe, sich damit gegenüber jemanden zu outen, in den man sich gerade verliebt hat, und den man nicht verlieren möchte. "Ich habe es ihm auf der Autobahn erzählt." Wie immer Andreas auch reagieren würde, er kann erst einmal nicht einfach aussteigen und weglaufen. Auf dem Weg nach Neuss plauderten sie also über die zwei Ex-Männer von Andreas.
"Was mich in meinen vorigen Beziehungen so geärgert hat, war, dass sie mit ihrer Gesundheit nicht besonders gut umgingen, obwohl sie jeweils HIV-positiv waren", berichtet der Jüngere. Zudem sucht Andreas nach einer monogamen Beziehung. Sein letzter Freund wanderte dagegen heimlich regelmäßig ins Essener Cruising-Kino "Man Movie". Bei welchem Autobahnkilometer das Geständnis erfolgte, weiß Ralf nicht mehr, doch die Reaktion seines neuen Freundes war überwältigend. Er drückte seine Hand und machte einen Scherz: "Ich scheine mich immer nur in HIV-Positive zu verlieben." Diese Hürde war geschafft.
Nach neuen Studien ist sicher: Ralf kann dank funktionierender Therapie niemanden anstecken
Ralf stand als Arztmodel für die Aids-Hilfe Essen vor der Kamera (Bild: Screenshot FRESH 11-2011)
Eigentlich braucht sich Andreas, der als Medizinisch Technischer Assistent arbeitet, kaum Sorgen zu machen über Ralf. Der arbeitet zum einen als hauptamtliche Kraft bei der Aids-Hilfe in Essen, und betreut dort mehrere Gruppen. Er ist in die Beratung eingebunden und koordiniert die Herzenslust-Arbeit, ist also ein absoluter Experte in eigener Sache. Auf seine Gesundheit achtet er äußerst penibel. "Ich nehme seit fünf Jahren die Medikamente und habe sie seitdem nur ganz wenige Male vergessen, einzunehmen." Außerdem mag er es ebenfalls monogam. Was er absolut hasst, ist Unehrlichkeit in der Beziehung. Denn bei seinem letzten Mann hatte er sich deswegen infiziert. "Wir hatten beide einen Test machen lassen, der negativ war. "Mein damaliger Partner Bernd erfuhr irgendwann, dass er sich mit HIV infiziert hatte und verschwand darauf über Nacht." Ralf kannte die Motive des Verschwindens nicht, wunderte sich über sehr die abrupte Beendigung der Beziehung. Den Grund lieferte eine Weile danach eine Routineuntersuchung von Ralf beim Gesundheitsamt. "Ich hatte keinen Sex mit anderen Männern nach dem Verschwinden meines Freundes, und dennoch war ich HIV-positiv. Er musste mich infiziert haben."
Gibt es nach diesem Drama nun eine Geschichte mit Happy End? Es wäre den Beiden zu wünschen. Ein halbes Jahr sind Ralf und Andreas nun zusammen, und eigentlich könnten sie sogar - trotz des unterschiedlichen Immunstatus - auf das Kondom verzichten. Denn eine neue Studie, die in diesem Jahr veröffentlicht worden ist, belegt, was die Aids-Hilfen bereits seit zwei Jahren in ihren Beratungsgesprächen ihren Klienten erzählen: HIV-Positive, die dank ihrer Therapie unter der Nachweisgrenze bei der Viruslast liegen, sind nicht mehr infektiös. Das Infektionsrisiko ist vergleichbar gering wie das bei der Benutzung von Kondomen. Sofern keine anderen Geschlechtskrankheiten vorliegen. Das Wissen um die Nichtinfektiösität hat vielen HIV-Positiven etwas von der Angst genommen, den Partner zu gefährden. Doch so ganz ist das Wissen im Kopf noch nicht im Bauch angekommen. Zumindest bei Ralf und Andreas: "Safer Sex mit Kondomen ist nach wie vor die Regel bei uns."
Danke auch für die Offenheit.