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- 19. Januar 2012 2 Min.

Alltag für Schwule in Deutschland bis in die späten 60er Jahre
Ein Beratungszentrum in Halle startet eine Unterschriftenliste für die Rehabilitierung der Opfer des Paragrafen 175. In Berlin fordert die Linkspartei derweil eine Bundesratsinitiative.
"Lebensart", das "Fachzentrum für sexuelle Identität", will bis zum CSD in Halle am 8. September die Unterschriftenliste an politische Vertreter auf Landes- und Bundesebene übergeben. "Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Deutschen Demokratischen Republik wurden nach 1945 Männer wegen einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Sexualität strafrechtlich verfolgt. Dies hat die Würde der Betroffenen wesentlich beeinträchtigt und eine freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit unmöglich gemacht", begründet das Zentrum die Aktion.
Der Paragraf 175 war 122 Jahre lang im deutschen Strafgesetzbuch verankert. Nach dem Gesetz wurden in dieser Zeit über 140.000 Männer verurteilt, davon alleine 60.000 in der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1969. Westdeutschland hat den 1935 von den Nationalsozialisten verschärften Paragrafen übernommen. Erst 1969 beerdigte die Große Koalition die Nazifassung. Danach enthielt das Gesetz "nur noch" ein höheres Schutzalter für Schwule, bis es 1994 vollständig abgeschafft wurde. In der DDR wurde das Gesetz kurz vor der friedlichen Revolution 1989 abgeschafft.
"Lebensart" fordert die gesetzliche Rehabilitierung aller nach 1945 in der Bundesrepublik und der DDR nach Paragraf 175 verurteilten Menschen. Für die Opfer soll ein Entschädigungsfonds eingerichtet werden. Außerdem fordert die Initiative, dass die Entscheidung des Bundeverfassungsgerichts von 1957, die den Paragrafen 175 in seiner Nazi-Fassung bestätigte, aufgehoben wird.
Regierung lehnte Rehabilitierung 2011 ab
Ein Rehabilitierung der verfolgten Schwulen wurde allerdings erst im vergangenen Jahr von der schwarz-gelben Koalition abgelehnt (queer.de berichtete). Die Regierung argumentiert, dass die Urteile in der Bundesrepublik rechtstaatlich zustande gekommen seien. Der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling sah in dem Antrag der Grünen, die Opfer der Schwulenverfolgung zu rehabilitieren, sogar einen Versuch, "rückwirkend die deutsche Rechtsordnung und damit unsere Rechtsstaatlichkeit" auszuhebeln. Auch die SPD äußerte verfassungsrechtliche Bedenken, während sich Linkspartei und Grüne für die Rehabilitierung einsetzten.
Berliner Linke fordert Bundesratsinitiative
Die Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus hat einen Antrag zum Thema eingebracht, der am 26. Januar in Erster Lesung behandelt werden soll. "In beiden deutschen Staaten sind Homosexuelle verfolgt worden, bis heute haben die noch lebenden Menschen Traumata und gebrochene Biografien zu verarbeiten", begründete Landesparteichef Klaus Lederer am Donnerstag die Initiative. "Es ist an der Zeit, das begangene Unrecht einzugestehen, die noch lebenden Opfer zu entschädigen und die über diesem dunklen Kapitel bestehenden Forschungs- und Dokumentationslücken zu schließen". Das sei ein Wettlauf gegen die Zeit, da viele von dem "Schandparagraphen" betroffene Menschen inzwischen sehr alt seien. (dk)
Links zum Thema:
» Liste zum Unterschriftensammeln















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