Cameron Carpenter: Würde für die Orgel ins Gefängnis gehen
Cameron Carpenter ist das Enfant Terrible der Organistenszene. Im Februar und März tourt der Amerikaner, der in Berlin lebt, durch Deutschland und Österreich. Im queer.de-Interview mit Dennis Klein erklärt der 30-Jährige, warum er süchtig nach Orgeln ist, warum er Berlin gegenüber der Metropole New York bevorzugt und weshalb er nicht als schwuler, sondern als queerer Künstler gelten will.
Die Kirchenorgel ist ein sehr ungewöhnliches Instrument. Warum haben Sie sich entschieden, ausgerechnet darauf zu spielen?
Ich weiß, dass man gerne sagt, man "spielt" ein Instrument. Für mich ist das aber kein lässiges Spiel, sondern eine unglaublich ernsthafte Angelegenheit. Ich habe die Orgel auch nicht ausgewählt, sondern sie hat mich von Anfang an hypnotisch angezogen. Ich muss einfach dieses Instrument neu erfinden. Ich kann aber auch nicht genau erklären, warum mich die Orgel so anzieht.
Versuchen Sie es.
Ein Vergleich würde es am besten erklären: Wenn sich jemand als schwul identifiziert, hat man besonders in den 90ern in den USA oft gesagt, er "wählt" einen alternativen Lebensstil. Man "wählt" diesen aber nicht, sondern man ist es. Genauso ging es mir mit der Orgel. Sie ist so etwas wie das Rückgrat meines Seins. Für mich ist das eine Obsession, eine Sucht. Wenn das Instrument illegal wäre, dann würde ich im Gefängnis landen.
Caprenter in Santa Monica (Kalifornien)
Warum zieht Sie die Orgel mehr an als andere Instrumente?
Einfache Antwort: Kein anderes Instrument fasziniert mich.
Sie haben eine "Touring Organ", also eine digitale Orgel zum Mitnehmen. Was hat es damit auf sich?
Die Touring Orgel ist derzeit noch Zukunftsmusik. Mein Problem ist, dass die Kirchenorgel fest an einen Ort gebunden ist. Daher suche ich etwas, das diese geografischen Beschränken nicht hat. Die digitale Orgel, die ich entwickelt habe, und für deren Finanzierung ich derzeit noch nach einem Sponsoren suche, hat keine Pfeifen und man kann sie relativ leicht transportieren. Mein Wunsch ist, daß eine dieser Touring-Orgeln in Boston und eine in Berlin stehen wird. In der Orgel-Szene gilt die ganze Idee als ketzerisch und revolutionär, für mich ist sie aber aus folgendem Grund wichtig: Die stationäre Orgel ist wie ein One-Night-Stand, während ich mit der digitalen Orgel eine dauerhafte Beziehung haben kann. Mein Antrieb ist, eine großartige Orgel überall zur Verfügung zu haben.
Sie haben sich in Interviews als "queer" bezeichnet und lehnen Definitionen wie "schwul" oder "bisexuell" für sich ab. Warum?
Das Konzept von Sexualität langweilt mich. Potenziell fühle ich mich angezogen von allen Menschen, in Wirklichkeit aber nur von einigen wenigen - und zwar von Frauen und Männern. "Queer" ist für mich ein breiteres Konzept, das nicht nur Sexualität einschließt. Das Wort "bisexuell" hinterlässt dagegen bei mir einen faden Nachgeschmack, denn für mich klingt das nach billigen 70er-Jahre Pornos.
Youtube | Cameron Carpenter in Aktion
In schwulen Szenemedien werden Sie oft als "schwuler Organist" bezeichnet.
Ich finde es nicht richtig, wenn mich Szenemedien so vereinnahmen. Dort haben viele ein Problem mit dem breiteren Konzept. Besonders Männer, die Sex mit Männern und Frauen haben, werden oft als Menschen dargestellt, die ihre Identität verleugnen.
Viele prominente Künstler sind sehr vorsichtig mit dem Coming-out, speziell wenn sie jünger sind. Hatten Sie dieses Problem?
Das war nie eine Frage. Ich musste nie etwas verstecken. Ob ich mir dadurch Möglichkeiten verbaut habe, weiß ich natürlich nicht. Aber es ist einfach ein Nicht-Thema, besonders in Europa. Es gab nur einmal eine Sache, als ich eine Kontroverse ausgelöst habe. Das war 2004 in den USA, als ich bei einem Vorstellung in Drag aufgetreten bin. In der Orgel-Szene gab es dann Kontroversen. Aber hier ist es auch einfach zu provozieren, ähnlich wie in schwulen Szenemedien.
Seit einen Jahr wohnen Sie in Berlin. Was hat sie denn dorthin verschlagen?
Berlin ist einfach ideal für meine Karriere. Ich habe zuvor zehn Jahre in New York City gelebt, aber das hat sich nicht mehr so gut angefühlt, auch weil Wohnungen sehr teuer waren. Ich brauche ja für meine Arbeit viel Platz. Das erste Mal war ich 2008 in Berlin und war positiv geschockt, wie frei und künstlerisch die Szene ist. Außerdem leben verschiedene Schichten in den Stadtteilen zusammen, es findet keine Gentrifizierung wie in New York statt. New York ist ein lauter Dschungel, aber in Berlin kann ich meine Ruhe haben.
Auftritte in Deutschland und Österreich
07.02.2012 - Essen / Philharmonie Essen
09.02.2012 - Köln / Kölner Philharmonie
14.02.2012 - Nürnberg/ Meistersingerhalle
20.02.2012 - Hannover / Hannover Congress Centrum
24.02.2012 - Karlsruhe / Christuskirche Karlsruhe
26.02.2012 - Wien / Konzerthaus
24.03.2012 - Mönchengladbach / St. Maria
26.03.2012 - München / Gasteig Philharmonie
Da ist der gute Mann wohl nicht auf dem Laufenden.
In Prenzlauer Berg wohnt so gut wie kein Berliner mehr. Kreuzberg wird gerade gentrifiziert. Die Leute fliehen nach Neukölln, dem Bezirk der Zukunft.