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  • 24. Januar 2012 18 3 Min.

Professionelle Hilfe steht für verzweifelte Menschen immer bereit. (Bild: Wiki Commons / Gohnarch at de.wikipedia / CC-BY-SA-3.0)

Ist die Berichterstattung über die Selbsttötungen schwuler Jugendlicher ein Problem wegen des möglichen Nachahmer-Effekts? Ein Standpunkt.

Von Christian Scheuß

Als Goethe im Jahr 1774 seinen Roman "Die Leiden des jungen Werthers" veröffentlichte, gab es im Laufe der Zeit eine zweistellige Zahl von jungen Menschen, die sich - wie die Hauptfigur in der Geschichte - das Leben nahmen. Manche der Lebensmüden hatten sich wie Werther gekleidet, oder sie hatten das Buch Goethes bei sich. Man fürchtete, das "Wertherfieber" sei ausgebrochen.

Die Psychiater und Psychologen, die sich mit diesem Problem beschäftigt haben, sind sich weitestgehend einig, dass es einen Werther-Effekt gibt. Und dieser Nachahmer-Impuls entsteht in Zeiten der Massenmedien natürlich umso einfacher, anders als im 18. Jahrhundert, als auch die Nachrichten sich noch langsamer verbreiteten. Die Psychologen haben deshalb vor rund zehn Jahren einen Katalog an Empfehlungen ausgesprochen, wie über solche Ereignisse berichtet werden sollte:

Demnach sollten Angaben zur biologischen und sozialen Identität vermieden werden. Dazu gehören detaillierte Hinweise über Alter, Geschlecht und Aussehen (Fotos) ebenso wie Angaben über soziale Beziehungen, gemütsmäßige Verfassung, Charakter und Leistungsfähigkeit. Ebenso problematisch aus ihrer Sicht: Angaben zu Suizidmethode und Suizidort. Und keine Spekulationen über Ursachen und Bewertungen des Suizides.

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Kann Berichterstattung auch Suizide verhindern?

Hält sich ein Journalist daran, kann er eigentlich nicht mehr über Suizide berichten. Ein Dilemma zwischen lebenswichtiger Vorsorge und ebenso wichtiger Berichterstattung. Der Deutsche Presserat hat diesen Zwiespalt in eine eigene Empfehlung gegossen: "Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände. Eine Ausnahme ist beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse handelt."

Ein Suizid ist keine Sensation für den Boulevard, es ist eine menschliche Tragödie. Die Berichterstattung über Suizide homosexueller Menschen ist für Szenemedien auf jeden Fall von öffentlichem Interesse. Denn in der Regel steht hinter dem Beschluss sich das Leben zu nehmen, ein anderes Problem: Mobbing, fehlende Akzeptanz, Diskriminierung, Vorurteile. Statistiken belegen: In den USA nehmen sich jährlich rund 4.000 Personen zwischen 15 und 24 Jahren das Leben. Es gibt Schätzungen, wonach rund ein Viertel der Personen schwul oder lesbisch sein könnten. Dabei ist Mobbing nur einer von mehreren möglichen Faktoren.

Wenn nun- wie in den vergangenen Wochen - gehäuft Meldungen über Selbsttötungen erscheinen, bedeutet das nicht automatisch, dass es nun immer mehr Fälle werden, oder dass es immer schwieriger für Teenager wird, ihre eigene Identität zu entwickeln. Mitunter tritt hier noch ein anderer Nachahmer-Effekt in Kraft. Journalisten sind sensibilisiert für ein Thema und greifen es dementsprechend eher auf, was wiederum andere Medien animiert, ebenfalls darüber zu berichten.

Wenn Menschen im Coming Out das Gefühl entwickeln, das Leben als Schwuler oder Lesbe sei nicht lebenswert, läuft ganz gewaltig etwas verkehrt. Um diese Hintergründe zu verstehen, ist es natürlich auch ganz besonders wichtig, mehr über die Lebensumstände zu erfahren und darüber zu berichten, statt darüber zu schweigen. Ist Homophobie ein Auslöser des Suizids, muss das benannt werden.

Um Nachahmungstaten zu vermeiden, ist es auch notwendig, auf Hilfsangebote zu verweisen. Deswegen werden wir auch in Zukunft über solche Ereignisse berichten in der Art, wie wir es jetzt tun. Wir wollen keine reißerische Mitleid-Story veröffentlichen, sondern sachlich darüber berichten, mit der Aufklärung über die Hintergründe und den Links zu den Beratungsstellen. Das einzige, was wir anfachen möchten, das ist der Ärger und die Wut des Lesers über Homophobie und Intoleranz in der Gesellschaft. Und das Engagement jedes Einzelnen, sich dagegen zu wehren, statt davor zu verzweifeln.

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#1 Knueppel
  • 24.01.2012, 15:07h
  • Ich habe Eure Berichterstattung verfolgt, etliche dieser Artikel in andere *Internet-Portale verlinkt und sie dort meist auch kommentiert.

    Meine Wut über die Verantwortlichen, die ich als "Täter" bezeichne - (Mitschüler) weil sie die Jugendlichen mit Psycho-Terror in eine seelisch scheinbar ausweglose Situation trieben, (Lehrer/innen) weil sie wegsahen, anstatt ihrer Pflicht nachzukommen, (Eltern) die zu 'beschäftigt' waren, um das Märtyrum ihres Kindes wahrzunehmen - war spontan und heftig.

    Diese *anderen Portale werden kaum von Angehörigen der gefährdeten Zielgruppe gelesen, sondern hauptsächlich von Erwachsenen, weshalb ich dort auch nicht die Gefahr der Nachahmung sehe. Trotzdem habe ich zum jüngsten Queer.de-Artikel einige Links hinzugefügt, um Leser/innen zu sensibilisieren, damit sie aufmerksam werden, wenn Jugendliche in ihrem Verwandten- oder Bekanntenkreis, als potenzielle Mobbingopfer in Erscheinung treten.

    Siehe hier:

    Das Problem ist, dass diese Jugendlichen, die da so lange psychisch terrorisiert werden, bis sie sich selbst völlig wertlos fühlen und das Märtyrium nur noch beenden wollen, noch nicht wissen, dass es Millionen Jugendliche gibt, die wie sie in einer hasserfüllten heteronormativ geprägten Umgebung isoliert sind.

    Schon festzustellen, dass es anderen genauso geht, dass man nicht allein auf der Welt ist, als „Kalb mit 2 Köpfen“, könnte wieder Lebensmut schaffen.

    Ich weise an anderer Stelle immer wieder auf Anlaufstellen hin - in diesem Portal hier werden zwar wohl kaum Zielgruppen-Angehörige mitlesen - aber man kann die Links ja auch multiplizieren und an geeigneter Stelle veröffentlichen, wenn ein Leser im Verwandten- oder Bekanntenkreis Jugendliche kennt, die offensichtlich unter Akzeptanzproblemen durch Mitschüler, Eltern, Verwandte, Vereinskollege etc. leiden:

    bit.ly/9YQi36

    bit.ly/ooSAxb

    bit.ly/ycRzqr

    bit.ly/cVniVW

    bit.ly/2mYvtN

    Schuldig machen sich auch Lehrer/innen, die wegsehen, wenn Schüler gemobbt werden, auf die entwickele ich allmählich einen regelrechten Hass.
  • Direktlink »
#2 SchokiAnonym
  • 24.01.2012, 15:35h
  • Antwort auf #1 von Knueppel

  • Ich gehöre zu dieser Gruppe der Jugendlichen. Zum Glück kann ich behaupten, dass ich genug Selbstwertgefühl besitze, mich nicht in diese Situation gedrängt zu fühlen. Obwohl ich mich noch nicht geoutet habe, erhalte ich komplette Rückendeckung von meinen Eltern und bin dafür sehr dankbar. Ich kann das Problem jedoch gut nachvollziehen, da ich zurzeit in meinem Umfeld niemals etwas über meine Orientierung sagen könnte. Ich bin zurzeit noch beim inneren CO und bin auch immer wieder verwirrt, wie es denn nun mit mir steht, doch versuche ich anderen Menschen mit Selbstwertproblemen zu helfen und sie zu unterstützen, egal mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben. Es tut jedes Mal ziemlich weh, solche Meldungen zu lesen und dann merke ich jedes Mal, dass in unserer Gesellschaft etwas verdammt schief läuft.
  • Direktlink »

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