Carsten S. am 1. Februar auf dem Weg zum Ermittlungsrichter in Karlsruhe (Bild: Screenshot ARD)
Böse Überraschung im Fall Carsten S.: Der am 1. Februar festgenommene Sozialarbeiter der Aids-Hilfe Düsseldorf hat gestanden, die Ceska besorgt zu haben, mit der die "Zwickauer Terrorzelle" neun Personen getötet hatte. Zuvor waren die Ermittler noch davon ausgegangen, der 32-Jährige hätte erst 2003 eine Waffe besorgt.
Wie sein Anwalt Jakob Hösel am Donnerstag bestätigte, hat der Verdächtige in der U-Haft umfassend ausgesagt und auch die Besorgung einer Waffe mit Schalldämpfer im Jahr 1999 oder 2000 gestanden, bei der es sich "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um die Ceska 83 (handelt), welche wohl bei den später begangenen Tötungsdelikten zum Einsatz kam", so der Anwalt.
Medienberichten zufolge erhielt Carsten S. die Pistole, die die Ermittler jahrelang vor Rätsel stellte, bis sie in der ausgebrannten Wohnung des Terror-Trios gefunden wurde, von einem Gesinnungsgenossen aus Thüringen, das Geld soll er von dem ebenfalls inhaftierten Ralf Wohlleben bekommen haben. Er übergab die Waffe dann Uwe Böhnhardt in Chemnitz. Mit ihr wurden später neun Geschäftsleute ausländischer Herkunft getötet, bei zwei Morden kam noch eine weitere Pistole zum Einsatz. Die Bundesanwaltschaft wirft Carsten S. inzwischen Beihilfe zu zehn Morden und einem Mordversuch vor; dass die Ceska gegen die ermordete Polizistin und ihren schwer verletzten Kollegen nicht zum Einsatz kam, tut dabei nichts zur Sache.
Die Waffe sei besorgt worden, als "noch keine der später bekannt gewordenen Straftaten begangen waren", schreibt der Anwalt von Carsten S. Sein Mandant habe bis zum Auffliegen der Terrorzelle nichts von Straftaten der Gruppe gewusst. Der Anwalt bestätigte auch erstmals, dass Carsten S. "im Alter zwischen 18 und 20 Jahren zwischen Herbst 1998 und ca. August 2000 als Kontaktperson zwischen dem 'Trio' und dem Beschuldigten Ralf W." fungierte und dabei "unter anderem" die Waffe besorgte. Es seien noch Fragen "klärungsbedürftig", man wolle sich aber aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht weiter äußern.
Peter von der Forst von der Aids-Hilfe Düsseldorf auf einer improvisierten Pressekonferenz kurz nach der Verhaftung
Am Donnerstag wurde auch öffentlich bekannt, dass die Düsseldorfer AIDS-Hilfe das Arbeitsverhältnis mit Carsten S. einvernehmlich beendet hat. Der offen schwule Mitarbeiter war in der HIV-Prävention in der Szene beschäftigt und hatte das schwul-lesbische Jugendzentrum Puls mit aufgebaut, wo er zuletzt noch acht Stunden die Woche arbeitete. Die Entscheidung war intern schon länger bekannt und hatte nichts mit den neuen Erkenntnissen zu tun, sondern mit praktischen Erwägungen.
Carsten S. war in seiner Wohnung in Düsseldorf-Oberbilk unter Einsatz der GSG 9 verhaftet worden (queer.de berichtete), er sitzt seitdem in Untersuchungshaft in Köln-Ossendorf, wo er auch seinen 32. Geburtstag vebrachte. Er durfte inzwischen Besuch von seinen Nächsten erhalten.
Da absehbar ist, dass die U-Haft und ein eventueller Prozess länger dauert, gleichzeitig aber die bisherigen Aufgabenbereiche von Carsten S. brachliegen, hatte die Düsseldorfer AIDS-Hilfe Konsequenzen gezogen und das Arbeitsverhältnis nach Absprache mit dem Anwalt von Carsten S. einvernehmlich beendet, so der AHD-Geschäftsführer Peter von der Forst. "Der weitere Verlauf und die damit verbundene Dauer des Verfahrens sind nicht absehbar. So war es auch in Carsten S. Sinne, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Er möchte damit mögliche Nachteile von der AIDS-Hilfe und den Menschen, für die er in Projekten tätig war, abwenden."
Carsten S. war seit 2005 Mitarbeiter der AIDS-Hilfe. Seine rechte Vergangenheit als hoher Funktionär in der NPD-Jugend Thüringens hatte er nicht verschwiegen und sich für viele glaubhaft von der rechten Szene und dem damit verbundenen Gedankengut distanziert (queer.de berichtete). Er verrichtete seine Arbeit nach Ansicht der Vorgesetzten tadellos; es gibt keine Anhaltspunkte, dass die ehemalige Gesinnung seine spätere Arbeit beeinflusst hätte.
Als rund eine Woche vor der Verhaftung erste Berichte über eine Verbindung zur NSU auftauchten, hatte er sich in einer eMail an die Kollegen gewandt. Über seinen Anwalt ließ er damals auch Medien wissen, dass er im Jahr 2000 aus der rechten Szene ausgestiegen sei und von Straftaten der "Zwickauer Zelle" keine Kenntnisse hatte. "Seitdem habe ich mich davon distanziert und verabscheue jegliche Art von rechtem, rassistischem und extremistischem Gedankengut", so Carsten S. Von der Besorgung einer Waffe sprach er nicht.
Für den Umgang mit Carsten S. hatte die Aids-Hilfe Rückendeckung aus der lokalen Politik und auch von den Dachverbänden erhalten. Manuel Izdebski, Vorstandsmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe, hatte in einer Stellungnahme Mitte Februar die Kollegen gelobt: "Im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe sind wir einhellig der Meinung, dass sich die Düsseldorfer Aidshilfe nichts vorzuwerfen hat. Es ehrt die Kolleginnen und Kollegen, dass sie einem jungen Mann, der glaubwürdig seinen Ausstieg aus der rechten Szene vollzogen hatte, eine zweite Chance einräumen wollten."
Auch Patrik Maas, Geschäftsführer der AIDS-Hilfe NRW, hatte sich hinter die Kollegen gestellt: "Wir stehen ausdrücklich zu der Entscheidung der Aids Hilfe Düsseldorf, Carsten S. eine Chance zum Ausstieg aus der rechten Szene zu geben, und würden die Kollegen auch bei künftigen Entscheidungen dahingehend stärken."
Die AIDS-Hilfe will nun einen Schlussstrich ziehen und sich nicht weiter zu Carsten S. äußern. In der letzten Woche hatte der Verein Ehrenamtler, Mitglieder und Kooperationspartner zu einem offenen Gespräch eingeladen, um sein Vorgehen zu erklären und auf Kritik einzugehen.
Am Donnerstag fand auch die große Gedenkveranstaltung für die Opfer des rechten Terrors statt, bei der sich Kanzlerin Angela Merkel für Versäumnisse der Behörden entschuldigte. Die 25-jährige Semiya Simsek, deren Vater 2000 an seinem Blumenstand erschossen worden war, sagte: "In unserem Land, in meinem Land, muss sich jeder frei entfalten können, unabhängig von Nationalität, Migrationshintergrund, Behinderung, Geschlecht oder sexueller Orientierung." (cw/nb)
Dies ist eine überarbeitete Fassung einer Meldung vom Nachmittag, die zuerst nur die Entlassung thematisierte.
allerding bin ich der meinung das wenn es nicht zu einer anklage oder einem schuldspruch kommt, er ein anrecht auf seine arbeitsstelle hat.
er sagt zwar er ist damit einverstanden, aber wie ist das denn gesetzlich geregelt, gesetz den fall jemand wolle nach bewiesener unschuld seinen arbeitsplatz zurück?