Wolfgang Schäuble überlasst die Gleichstellung den Ländern
Neue Bewegung in der Frage der Gleichstellung von schwul-lesbischen Paaren: Nachdem er von einigen Ländern ignoriert wurde, hat Bundesfinanzminister Wolfang Schäuble (CDU) seinen Widerstand gegen eine vorläufige Gleichstellung von Lebenspartnerschaften im Steuerrecht aufgegeben.
Die Länder können nun selbst entscheiden, ob sie Lebenspartnern auf Antrag gegen die Ablehnung von Anträgen auf Zusammenveranlagung und auf Änderung ihrer Steuerklassen eine Aussetzung der Vollziehung gewähren. Darauf hatten sich die Referenten der Steuerverwaltungen der Länder bereits Anfang März geeinigt. Wenig später hatte Schäuble bei der Finanzministerkonferenz von Bund und Ländern seinen Vorbehalt gegen die Regelung eingelegt (queer.de berichtete). In einem internen Vermerk begründen Schäubles Mitarbeiter einem Bericht des "Spiegel" zufolge ihre Ablehnung damit, dass die neue Regel "die Argumentationslinie des Ministeriums in den beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren schwächen" könne.
Einige Länder, darunter Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, hielten aber an der beschlossenen Gleichstellung fest, das NRW-Finanzministerium kündigte das am Mittwoch offiziell an: "Auf Initiative von Nordrhein-Westfalen wurde auf Bund/Länder-Ebene beschlossen, den Einsprüchen von eingetragenen Lebenspartnerschaften gegen die Ablehnung des Splittingtarifes im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes stattzugeben. Der Splittingtarif kann damit vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gewährt werden", so Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD).
Länder können gleichstellen
In Folge stellte Wolfgang Schäuble es den Ländern offen, die Sache selbst zu Regeln. Der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk hatte dazu in einer Antwort auf eine schriftliche Frage der Linkenabgeordneten Barbara Höll ausgeführt: "Aufgrund der ausstehenden Klärung der zugrunde liegenden Rechtsfrage durch das Bundesverfassungsgericht hält das Bundesministerium der Finanzen es nicht für erforderlich, eine bundeseinheitliche Verwaltungsanweisung herauszugeben." Es bleibe den einzelnen obersten Finanzbehörden der Länder "unbenommen, in Abhängigkeit von der Rechtsprechung ihres jeweiligen Finanzgerichts den Betroffenen einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. In diesen Fällen dürfte es in der Praxis zur Aussetzung der Vollziehung kommen." Diese Vorgehensweise halte das Bundesfinanzministerium für unproblematisch.
Die bis zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorläufige Gleichstellung im Steuerrecht, also das Ehegattensplitting, gibt es nur auf Antrag. Dazu hat der LSVD kürzlich Tipps und Hinweise gegeben.
Kritik an "Flickenteppich"
NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) fordert eine gesetzliche Gleichstellung
Das halbe Einknicken Schäubles sorgt dabei für weitere Kritik. "Das Trauerspiel setzt sich fort - Bundesfinanzminister Schäuble will weiter diskriminieren und nimmt größtmögliche Rechtunsicherheit in Kauf", sagte etwa der Grünenpolitiker Volker Beck. Dass in Medien von einer Großzügigkeit Schäubles gesprochen werde, sei Augenwischerei: "Denn dass die Länder als oberste Steuerverwaltungen von der Linie des Bundesfinanzministers abweichen können, war ohnehin klar. In vielen Ländern hatten ja ohnehin schon oberste Finanzgerichte entsprechende Urteile erlassen. Mit seiner 'Freigabe' ermöglicht Schäuble es aber schwarz-gelb regierten Ländern wie Bayern, Hessen oder Sachsen, weiterhin zu diskriminieren. Wir bleiben bei unserer Forderung: Wir brauchen ein klares Gesetz, in dem auch schwulen und lesbischen Paaren die volle Splittingmöglichkeit eingeräumt wird!"
"Schäuble hat mit seiner obskuren Rechtsauffassung einen steuerpolitischen Flickenteppich provoziert", kritisiert auch Barbara Höll. "Mit der nun vorbildlichen Klarstellung des Finanzministeriums NRW hält sich NRW an Recht und Gesetz und führt Schäuble vor. Wenn der Bundesfinanzminister dazu nicht in der Lage ist, Gleiches gleich zu behandeln, so könnte zumindest die FDP ihren Koalitionspartner an die im Koalitionsvertrag verankerte steuerrechtliche Gleichbehandlung nicht nur erinnern sondern auch verpflichten, hätte sie denn den Mumm dazu."
Auch Walter-Borjans hatte mehr gefordert, als er selbst umsetzen kann. "Es ist überfällig, dass die gesetzliche Gleichstellung kommt. Abgesehen davon, dass die steuerrechtliche Ungleichbehandlung rechtlich nicht haltbar ist, gibt es auch sonst keinen Grund, die steuerrechtliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften zu versagen. Die CDU geführten Länder müssen sich bewegen. Es gehört mittlerweile zum Glück schon in vielen anderen Bereichen zur Lebensrealität, dass Menschen bei uns nicht mehr wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden." (nb)
allmählich geht es mir wirklich auf den keks, das wort "gleichstellung" alle zwei wochen wieder in irgendeinem nachrichtentitel zu lesen. wenn es wirklich um gleichgestellung ginge, gäbe es dieses entwürdigende gerangel um jeden weiteren millimeter ja wohl gar nicht.
mal zur erinnerung: wir reden auch hier wieder NICHT von einer wirklichen "gleichstellung", nicht mal im detail, sondern von einer provisorischen "aussetzung der vollziehung" bezüglich der immer noch in einer diskriminierenden sondergesetzgebung geregelten paarbeziehungen. von rechtsunsicherheit und willkürlichen schikanen.
irgendwem scheint es einen großen spaß zu machen, von gleichstellung zu reden, sich de facto aber vor allem in der festschreibung schikanöser detailunterschiede festzubeißen.
ich kann dieses verdammte ameisenficken nicht mehr nachvollziehen. und ich kann auch nicht nachvollziehen, wie unkritisch diese demütigende kleinklein-diskriminierung auch in queeren medien als "gleichstellung" bejubelt wird, als gebe es dazu keinerlei alternative. dabei machen andere länder längst vor, dass echte gleichstellung möglich ist.
ich habe es schon mehrfach geschrieben und wiederhole es hier gern noch einmal:
gleichheit gibt es nicht in scheiben.