Seine Eltern konnte Ringo Rösener nicht fragen, wie Schwule in der DDR lebten (Bild: Salzgeber Medien)
Wie hat man als Schwuler in der DDR gelebt? Der junge Ostdeutsche Ringo Rösener hat in seiner Doku "Unter Männern" Zeitzeugen interviewt.
Von Carsten Weidemann
Den Berliner Friseur Frank Schäfer plagt ein Alptraum: "Stell dir vor, du wachst auf, und bist auf eenmal nicht mehr schwul". Er fasst sich an die Stirn, seufzt: "Denn muss ikk mit irjendwelchen Frauen immer ins Café jehen und inne Bar und ins Kino un denn noch lange reden, bis die nun endlich bereit sind. Ne, darauf hab ich keenen Bock."
Die "Sache" sei so schon perfekt. Schäfer, Jahrgang 1959, ist in der DDR aufgewachsen. Die sexuellen Freiheiten, die man als schwuler Mann innerhalb der Subkultur besaß, die hat er genutzt und genossen, neben vielen anderen Freiheiten, die er sich im "System" rausgenommen hat. Der Ost-Berliner wurde einer der bekanntesten Friseure der DDR, erfand die Punkfrisur des Sozialismus und tat alles, um als cool zu gelten. Dazu gehörte auch, verhaftet zu werden, denn "viel verhaftet werden ist auch viel cool".
Vor mehr als zwei Jahrzehnten existierte in Europa ein Land, das die Grenze zu einem anderen politischen und wirtschaftlichen System markierte und doch die Mitte des Kontinents darstellte. Dieses Land nannte sich Deutsche Demokratische Republik, verwirklichte den Sozialismus und war Heimat für 17 Millionen Menschen. Tief in der ostdeutschen Provinz geboren, bekam Ringo Rösener gerade noch den Zusammenbruch mit. Mit dem Jahrtausendwechsel verlässt er seine Geburtsstadt Anklam und lebt seine Homosexualität - etwas, das er sich in der Provinz bis dahin nie getraut hatte. Wäre so ein offen schwules Leben im real existierenden Sozialismus möglich gewesen?
Reales schwules Leben im real existierenden Sozialismus
Plakatkunst im sozialistischem Stil (Bild: Salzgeber Medien)
Als studierter Kulturwissenschaftler, Buchautor und Regisseur machte sich Ringo Rösener gemeinsam mit Co-Regisseur und Kameramann Markus Stein auf, um Antworten auf diese Frage zu finden. Sie begegnen dabei sechs schwulen Männern, die in der DDR lebten und die zum Teil erstmals offen über ihre Sexualität sprechen. So unterschiedliche Personen wie der Künstler Jürgen Wittdorf und der Friseur Frank Schäfer, der Bürgerrechtler Eduard Stapel und John Zinner, der sein Coming-Out in einem kleinen Dorf im Thüringer Wald erlebt hat, berichten, wie sie ihre Individualität entwickelten in einem Land, in dem Schwulsein" kein Thema war. Das als ein "Überbleibsel dekadenter bürgerlicher Moral" galt.
Es sind sehr anrührende Biographien, die sich da vor dem Zuschauer entwickeln, sehr subjektive Innenansichten einer Parallelwelt im Sozialismus. "Unter Männern" ist aber nicht nur reine oral history. Rösener macht sich auch die Mühe, die Orte zu besuchen, an denen sich schwule Männer früher trafen. So klettert er mit dem Schwulenaktivisten Eduard Stapel hinab in eine völlig verfallene Toilettenanlage in Leipzig. Die ehemalige Klappe wirkt jetzt wie ein verwunschener Ort, Jahrhunderte alt. Dabei ist es gerade einmal rund 20 Jahre her, seit man nicht mehr von sich behaupten kann, man lebe "Schwul in der DDR".