Die Studie der GEW ist als PDF kostenfrei erhältlich
Schulbücher ignorieren die queere Lebensrealität - zu diesem Schluss kommt eine neue Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die vor wenigen Tagen in Zusammenarbeit mit dem Lesben- und Schwulenverband (LSVD) und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin vorgestellt wurde.
Die Studie selbst ist als PDF verfügbar und die Lektüre wert. Melanie Bittner untersucht darin Schulbücher aus ganz Deutschland zu den Fächern Englisch, Biologie und Geschichte in der Tiefe und legt nicht nur die Mängel detailliert dar, sondern auch die Alternativen. So kritisiert sie bei Englischbüchern nicht nur die komplett fehlende Erwähnung von Homosexualität, sondern hinterfragt auch weitere fehlende Diversity-Ansätze und die dargestellten Gender-Klischees. In Geschichtsbüchern tauchen Schwule und Lesben in der Regel nur als Randaspekt der Verfolgung in der Nazi-Zeit auf.
Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, gab wegen einer Erkrankung eine Rede zu Protokoll, in der sie Handeln forderte: "Die Diskriminierung, die lesbische, schwule und transidente Jugendliche an deutschen Schulen erleiden, ist mit dem Fürsorgeauftrag von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen nicht vereinbar." Das Coming-out sei leider noch immer sehr belastend für viele Jugendliche. "Institutionen, in deren Obhut sich Jugendliche befinden, müssen aber sicherstellen, dass alle Jugendlichen sich ohne Angst selbstbestimmt entfalten können", so Lüders. Schulen müssten "Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein" vermitteln.
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, begrüßte die Studie bei der Vorstellung als ein "richtiges und wichtiges Signal auch an die Schulbuchverlage". Günter Dworek vom LSVD verwies auf die "Homo-Propaganda-Gesetze" in Russland, die ein Schweigen über Homosexualität zur Folge haben: "In der Erstellung und in der Genehmigung von Schulbüchern wirken unausgesprochen hierzulande oft noch ähnliche Mechanismen." Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte zu der Vorstellungstagung, deren weitere Reden im LSVD-Blog zusammengefasst sind, auch Vertreter der Schulbuchverlage geladen - und nur Absagen bekommen.
"Der steife Penis gleitet in die Scheide."
Aus dem Glossar eines aktuellen Biologiebuches des Klett-Verlags
Der größte Teil der Studie beschäftigt sich mit Büchern zum Fach Biologie - besonders negativ fiel eines aus dem letzten Jahr auf: In "Lindner Biologie 1" für die 5. Jahrgangsstufe wird Homosexualität nur einmal indirekt erwähnt - in einem Kapitel zu sexueller Gewalt durch einen Bericht über einen Jungen, der der von einem Mann entführt und missbraucht wurde. Von allen untersuchten Büchern lässt nur eines, "Prisma Biologie 7/8", einen schwulen Jungen selbst zu Wort kommen - dabei sind persönliche Erfahrensberichte sehr verbreitet. Insgesamt wird Homosexualität in Bio-Büchern zumeist nur kurz aufgefriffen, "gewissermaßen am Ende noch zur Vollständigkeit", wie die Studie kritisiert.
Die Erwähnung am Rande verstärkt den Eindruck eines heteronormativen Grundtones, so Bittner. Dieser zeige sich vor allem in den Beschreibungungen des Geschlechtsverkehrs, die sich in der Regel auf die Einführung des Penis in die Scheide der Partnerin beschränken. Bisexualität wird fast gar nicht erwähnt, Lesben anders als Schwule fast gar nicht abgebildet.
Ein umfassendes Scheitern fand die Studie beim Thema Transgender: "Die Analyse zeigt, dass Geschlecht als binäre Kategorie in keinem Biologiebuch auch nur ansatzweise in Frage gestellt wird. Vermittelt wird ein Modell, in dem es ausschließlich Frauen und Männer gibt und in dem immer klar ist, wer weiblich und wer männlich ist."
Studien aus Sachsen-Anhalt und NRW
Zu ähnlich traurigen Ergebnissen waren in den letzten Monaten zwei Studien aus den Budesländern gekommen. So hatte das schwul-lesbische Begegnungs- und Beratungszentrum "lebensart" e.V. in Halle 99 von insgesamt 142 in Sachsen-Anhalt zugelassenen Schulbüchern auf das Thema Homosexualität abgeklopft - und wurde nur in 23 Büchern fündig (queer.de berichtete). In Büchern für Grundschulen war Homosexualität ebenso kein Thema wie in Büchern für den katholischen Schulunterricht, mit der einen Ausnahme, in der "gleichgeschlechtliche Zuneigung" als "vorübergehende Erscheinung" bezeichnet wurde.
Anfang des letzten Jahres hatte bereits das Autonome Lesben- und Schwulenreferat an der Uni Köln (LUSK) Schulbücher in NRW unter die Lupe genommen (queer.de berichtete) - ganze 365 aus den Fachbereichen Geschichte, Religionslehre, Englisch, Sozialwissenschaften/Politik, Deutsch und Biologie. Davon behandelten nur 67 Bücher schwul-lesbische Lebensweisen, was einer Quote von 18 Prozent entspricht. 55 Bücher stammten aus dem Lehrbereich Biologie, die restlichen zwölf Erwähnungen stammten aus den Fächern Geschichte und Religion. Während katholische Religionsbücher nicht untersucht wurden, fielen evangelische (wie auch in Sachsen-Anhalt) positiv auf. (nb)
Und klar, die Schulbuchverlagsvertreter interessiert's erst gar nicht. Immer schön ignorant bleiben, bloß nichts dazulernen oder gesellschaftlichen Wandel und die Existenz von Lesben und Schwulen wahrnehmen, nee, bloß nicht!