Jan Feddersen bei einer Diskussion im Mai 2012 in Köln (Bild: Norbert Blech)
Die Berichterstattung des schwulen Journalisten Jan Feddersen über den ESC in Baku ist zynisch, wirr und verharmlosend. Mehr Solidarität und einfach mal die Klappe halten, fordert Christian Scheuß.
Lieber Jan Feddersen!
Beginnen wir mal mit einem Zitat aus deiner aktuellen taz-Kolumne "Bitches in Baku" vom 20. Mai:
"Sogar das westliche Gerücht, dass in Aserbaidschan Schwule - von Lesben ist nie die Rede - drakonisch unterdrückt werden, darf als Gräuelpropaganda von, nennen wir sie: Menchenrechtisten genommen werden. Homosexualität ist nicht nur nicht strafbar, sondern es hat, im Gegensatz zu Serbien, Russland oder der Ukraine, gegen Homosexuelle auch hier nie nationalistische Flashmobs gegeben. Aserbaidschan, sagen einem Homosexuelle aller Geschlechter, sei nicht so das Land wie Deutschland oder die Niederlande mit ihren CSDs - aber was nicht sei, werde irgendwann auch kommen können."
Die Unterdrückung von Homosexuellen in Aserbaidschan ist ein von Menschenrechtlern gestreutes Gerücht, ja sogar Gräuelpropaganda? Also eine gezielte Lüge von Aktivisten, die du als solche nicht einmal akzeptierst? Und weil es keinen prügelnden Mob auf den Straßen gibt, gibt es folglich auch keine Homophobie?
Vielleicht verstehe ich ja die Kolumne nicht so recht, und du schlüpfst da in die Rolle einer "Bitch", die losgelöst von allen Realitäten irgendetwas plappert, weil es lustig sein soll. Vielleicht schreibst du es aber auch genauso auf, wie du es meinst. Wie auch immer die Intention sein mag, der Text ist bösartig, ignorant, arrogant und verharmlosend. So etwas Unsolidarisches habe ich selten gelesen.
Der Journalist Stefan Niggemeier hat es in seinem Blog recht gut beschrieben: Da ist einerseits die Freude an einem Event, das mit seinem Glamour, Trash und den Emotionen einfach toll ist, auch und gerade für die mitreisenden Journalisten. Und da ist andererseits deutlich spürrbar, dass man sich in einer künstlichen Blase aufhält, dass die eilig hochgezogenen Gebäude Teil der Kulisse sind. Und Niggemeier vergisst dabei nicht die Zustände in diesem Land, die in ihm und den meisten vernünftigen Menschen ein mulmiges Gefühl erzeugen.
Jan Feddersen will es gemütlich haben in Baku
Jan Feddersen deutet Niggemeiers Mulm flugs um. Die Gefühle seien ausgelöst durch die deutsche Medienberichterstattung, in der Aserbaidschan mit Nordkorea oder dem Iran verglichen werde. Blöd nur, dass außer Feddersen kein einziger Journalist diese plumpen Vergleiche anstellt.
Er beschwert sich darüber, dass man ihm übelnehme, wenn "man nicht gleich ein Päckchen Papiertaschentücher hervorholt, um die Menschenrechtsprobleme an sich zu beweinen". Damit macht sich Feddersen lustig über alle, die auf die Menschenrechtslage hinweisen.
Noch ein Zitat: "Es lohnt sich in Wahrheit, die Verhältnisse, wenn schon an Ort und Stelle, mit Neugier wahrzunehmen." Tätest du dies, lieber Jan, und würde deine Neugier nur einen Millimeter weit aus deiner ESC-Blase herausreichen, würdest du vielleicht diese Stimme hören: "Die Meinungsfreiheit wird hier erdrosselt. Der Staat präsentiert sich der Welt gerne als demokratisch und entwickelt, aber die Realität sieht anders aus. Vielleicht ist Aserbaidschan das Land in Europa, in dem die Menschenrechte und die Rechte von Lesben und Schwulen am wenigsten geschützt sind."
Oder diese: "Für die Gesellschaft sind Schwule und Lesben schlimmer als Mörder oder Verrückte, und der Staat befördert diese Stimmung auch noch. Viele denken an Selbstmord oder daran, aus dem Land zu fliehen. Aserbaidschan ist nur wenig besser als der Iran, was die Lage von Schwulen und Lesben betrifft." Das sind Zitate von Schwulen, die in Baku leben, die der Journalist Torsten Bless im Sommer 2011 interviewt hat (queer.de berichtete). Es gibt ein homosexuellen Leben in Aserbaidschan - aber verdeckt. Viele Schwule und Lesben gehen eine Scheinehe ein und haben Angst vor Polizei-Razzien und Erpressung durch die Beamten.
Es geht nicht an, seit Wochen auf mehreren - und teils gebührenfinanzierten - Plattformen die beleidigte Leberwurst zu spielen, der man vermeintlich den Spaß an seinem schönen glitzernden ESC-Spielzeug verderben will und deshalb alle verbal als "Spaßbremse" (wie den deutschen Menschenrechtsbeauftragten) niederzuknüppeln, die versuchen, mal hinter die LED-Wände in Baku zu blicken. Auch wenn es dich noch so "nervt", dass andere nach den Dingen fragen, die du als "Polit-Sperenzchen" abtust. Solange es in Aserbaidschan politische Gefangene gibt, Blogger von der Uni fliegen, Korruption herrscht und Demonstrationen nicht erlaubt werden, sind diese "Sperenzchen" wichtig und angemessen
Das Mindeste, das du jetzt tun könntest, aus Solidarität zu denjenigen, die ein anderes Verhältnis zu den Realitäten haben: Konzentriere dich auf die schönen Trick-Kleider und den tollen Promo-Tand, schau dir so lang du willst die händchenhaltenden Männer mit den "hautengen T-Shirts" und den "eingebauten Gemächtbeulen" an, aber halt in Sachen Menschenrechte doch einfach die Klappe. Danke schön...
Vor allem: wenn schon öffentlich-rechtliche Sender in ihren Auslandssendungen über die Verhältnisse in Aserbaidschan berichten (zwar jetzt nicht exklusiv über die schwul-lesbischen, aber man kann sich ausmalen, wie diese dann angesichts der allgemeinen Situation dort aussehen), dann sollte man sich das auch mal zu Gemüte führen anstelle einen auf mediengeile Hyper-Partyhusche und Pseudo-Experte zu machen. Wirklich Ahnung hat ein Herr Feddersen ohnehin nicht, weder von der ESC-Materie, und von dem, was es darüber hinaus noch gibt, erst Recht nicht.