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HIV-Infektion
Wer hat die Verantwortung beim Sex?
- 09. Juni 2012 3 Min.

Dr. Guido Schlimmbach, Pressesprecher der Aids-Hilfe NRW: "Verantwortung lässt sich nicht delegieren"
Das deutsche Strafrecht stellt die versuchte oder tatsächliche HIV-Übertragung unter Strafe. Diese Kriminalisierung ist wenig hilfreich, sagen die Aids-Hilfen. Warum, erklärt Dr. Guido Schlimbach, Pressesprecher der Aids-Hilfe NRW, im Interview.
Von Christian Scheuß
Treffen sich zwei Schwule zum Sex. Wer trägt die Verantwortung in Sachen Safer Sex?
Beide. Zunächst einmal für sich selbst und selbstverständlich auch gegenüber dem Anderen.
Treffen sich zwei Schwule zum Sex, einer davon HIV-positiv. Wie sieht es jetzt mit der Verantwortung aus?
Selbe Antwort: Beide. Im Hinblick auf sich selbst und den Anderen.
Viele sagen, der HIV-Positive hat eine größere Verantwortung...
Verantwortung lässt sich hier nicht in unterschiedliche Portionen aufteilen oder delegieren.
Wenn alle Beteiligten ihren eigenen Teil der Verantwortung tragen, wie kommt es, dass immer wieder Fälle vor Gericht landen, in denen der eine dem anderen vorwirft, ihn gefährdet zu haben?
Eine gute Frage. Wenn wir von anonymen oder flüchtigen Kontakten sprechen, verstehe ich es einfach nicht, das sich ein erwachsener Mensch auf Sex einlässt, und dabei die eigene Verantwortung an der Garderobe der Cruisingbar abgibt, oder sie unausgesprochen voll und ganz dem Anderen überträgt. Eine andere Sache ist es natürlich, wenn ich zum Beispiel in einer Beziehung stecke, und den Partner im Unklaren lasse oder ihm nicht die Wahrheit sage.
Hilft es, die Ausbreitung von HIV zu verhindern, wenn sich die Staatsanwaltschaft mit ins Bett legt?
Nein, überall dort, wo das passiert, können wir unsere Präventionsansätze vergessen. Wir empfehlen im Moment, sich regelmäßig testen zu lassen, um frühzeitig medizinisch gegen eine mögliche Infektion vorgehen zu können. Juristisch greifbar sind aber nur Fälle, in denen der HIV-Positive von seiner Infektion weiß. Wer sich von möglicher Strafverfolgung bedroht sieht, nur weil er seiner Vorsorge um seine Gesundheit nachkommen will, wird sich zweimal überlegen, ob er wirklich zum Test gehen wird. Er muss als Konsequenz eines positiven Testergebnisses Isolierung und Stigmatisierung fürchten. Das schwächt die Eigenverantwortung, über dir wir hier gerade reden.
"ExplosHIV - die Kriminalisierung der HIV-Übertragung" hieß das Motto des vom Selbsthilfe-Netzwerk "Posithiv Handeln" Anfang Juni in Hattingen verstalteten Positiventreffens für NRW. Was sind die Kernforderungen der Positiven-Community in Richtung Justiz?
Alle Fälle, die in Deutschland behandelt werden, fallen unter den Straftatbestand der (versuchten) Körperverletzung. Wir brauchen keine neue Gesetzgebung, aber die Frage ist, wie die bestehende angewandt wird. Da sollten die Gerichte zum einen stärker berücksichtigen, dass ein HIV-positiver Mensch in erfolgreicher Therapie heute faktisch nicht mehr infektiös ist. Und zum anderen sollten die Richter in jedem Einzelfall genauer darauf schauen, wo die moralische Verantwortung liegt. Hier gilt, was ich zu Anfang gesagt habe.
Links zum Thema:
» Homepage von "Posithiv Handeln"














