Provokation oder Wahrheit? Dieser Herr gibt gerne Auskunft (Bild: Aids Action Now)
Die Welt-Aids-Konferenz in Washington ist die ideale Plattform für Proteste. Die kanadische Gruppe "Aids Action Now" nutzt sie mit Provokationen in Unterwäsche.
Von Carsten Weidemann
Eigentlich wollte die kanadische Gesundheitsministerin Leona Aglukkaq am Mittwoch-Nachmitttag in Washington in Ruhe ihre Eröffnungsrede halten, doch daraus wurde nichts. Statt warmem Applaus erntete sie lautstarke Kritik. Aktivisten von "Aids Action Now" (AAN) entrollten ein Transparent und forderten alle Besucher auf, der Politikerin den Rücken zuzukehren. Leona Aglukkaq wird von ihnen wegen der Kürzungen bei der HIV-Prävention kritisiert. Die Mitglieder von AAN werfen ihr außerdem vor, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ignorieren, die es im Zusammenhang mit Risikominimierung und Risikomangement bei sexuellen Kontakten gibt. Am Tag zuvor hatten die Aktivisten bereits den kanadischen Ausstellungsstand komplett mit Absperrbändern eingewickelt. In Kanada wird derzeit über eine Pflicht zur Offenlegung des Immunstatus von HIV-Positiven diskutiert.
In den Konferenzsälen und auf den Videowänden der Welt-Aids-Konferenz (WAK) in Washington herrscht sonst eitel Sonnenschein. Promis wie der britische Popsänger Elton John oder US-Außenministerin Hillary Clinton appellierten an die Teilnehmer und die Weltöffentlichkeit, sich solidarisch zu zeigen, gemeinsam an der Bekämpfung der Immunschwäche zu arbeiten, und Hand in Hand Aids von der Welt verschwinden zu lassen. Doch all die Mut- und Mitmach-Appelle überkleistern die zweifellos existierenden Konflikte.
"Ich feiere, ich habe Sex ohne Kondom, Ich bin HIV+, ich bin verantwortlich"
Die Kampagne wirde 2011 erstmals in Toronto vorgestellt
Die bestehen nicht nur zwischen den Industrienationen und den Entwicklungsländern, sie bestehen auch zwischen Regierungen und Betroffenen in westlichen Ländern. Die WAK ist traditionell Plattform für öffentlichkeitswirksame Proteste und Aktionen. Der Geist von "Act up", der radikalen Protestbewegung HIV-positiver Menschen aus den Achtziger Jahren lebt damit weiter.
"Aids Action Now", die seit 1988 existiert, setzt neben der Kritik an einer drohenden Kriminalisierung auch Akzente in Richtung Community. Auf den Straßen Washingtons tauchten am Mittwoch schwule Männer auf, die mit bunten Unterhosen und T-Shirts die Vorwürfe und Mythen aufs Korn nahmen, mit denen HIV-Positive immer wieder konfrontiert werden. Zum Beispiel das Vorurteil des verantwortungslosen Infizierten. So war auf einem der Transparente zu lesen: "Ich feiere, ich habe Sex ohne Kondom, ich bin positiv, ich verhalte mich verantwortlich." Auf den ersten Blick ein provokanter Widerspruch. Doch wer den Mann mit dem Transparent anspricht, wird erfahren, dass die Realität heute eine andere ist. Die Minimierung von Risiken ist nun mal in Zeiten gut funktionierender Therapien komplexer als vor zwanzig Jahren. Und eigentlich ist auch die Frage der Verantwortung über safer oder unsafe sex klar geregelt.