Thomas hat sich bereit erklärt, für 18 Monate als Sklave seinem Meister und Ich-Erzähler Jens zu dienen
Im Männerschwarm Verlag ist Jens van Nimwegens schwuler SM-Roman "Die Abrichtung" erschienen – ein wahrliches Ein-Hand-Buch.
Von Angelo Algieri
Er heißt "Schwein", muss seinem Meister gehorchen, seine Bedürfnisse blind verstehen. Er läuft meist nackt durch die Wohnung und bekommt täglich Champagner zu trinken und Tatar zu essen – aber erst nachdem er das Sperma seines Meisters für das Tatar rausgeholt hat.
Das steht im SM-Roman "Die Abrichtung" von Jens van Nimwegen. Der Autor ist im Bergischen Land 1950 geboren. Er ist Mathematiker und Physiker und arbeitet als Wissenschaftler in den Niederlanden und Berlin. Daneben konditioniert er devote Männer – auch über mehrere Jahre.
Aus diesen Erfahrungen schöpft der Autor seine Story. Das Schwein heißt Thomas und hat sich bereit erklärt, für 18 Monate als Sklave seinem Meister und Ich-Erzähler Jens zu dienen. Bei Nichteinhaltung der vertraglich vereinbarten Regeln wird Thomas bestraft. Entweder wird er im Keller angekettet oder er bekommt Peitschenhiebe. Das geschieht schon am darauffolgenden Morgen seiner Ankunft, als er verpasst, den Meister pünktlich zu wecken. Zwölf Minuten zu spät bedeuten zwölf Peitschenhiebe – das erste Mal ist für Thomas schmerzhaft, und er schreit sich die Seele raus…
Eine Woche nackt im Berliner Tiergarten
Ein schwuler Sklave bei einer Gay-Pride-Parade in den USA (Bild: Elvert Barnes / flickr / by 2.0)
Die ersten Wochen dienen der Akklimatisierung. Thomas lernt schnell. Jens bringt ihn auf Partys oder stellt ihn bei Treffen mit anderen Meistern vor. Er wird gedemütigt. So muss er Essensreste aus Stiefeln futtern oder Pisse trinken. Immer wieder gibt es neue Proben: Etwa nackt im Berliner Tiergarten für eine Woche verbringen, während Jens im Hotel schläft. Doch Thomas darf von anderen angefasst werden…
Jens erlaubt Thomas, weiter zu studieren. Eines Tages bringt er zwei Kommilitonen mit: Maik und Punker "Ratte". Sie wissen von der Meister-Sklaven-Beziehung. Maik, der sein Coming-out erfährt, findet solch ein Verhältnis anregend. Er möchte es auch mit Ratte leben.
Doch dieser, obwohl er ihn liebt, möchte ihn eine Woche auf die Probe stellen. Dass Maik ihm sein ganzes Geld und Vermögen vermacht hat, reicht ihm nicht als Liebesbeweis. Maik – zukünftig Sucker genannt – muss unbegründete Schläge und gemeine Demütigungen erfahren. Doch er schafft es.
Auch wenn Ratte bei Jens noch in "Ausbildung" ist, wie man mit Sklaven umgeht, macht Ratte intuitiv alles richtig. Während es bei Thomas und Jens in die letzte Phase geht: Da Schwein seit langem keine Regeln gebrochen hat, bekommt er täglich 70 Peitschenhiebe – diesmal lustvolle Schläge. Im Gegensatz zum ersten Mal genießt er sie nun.
Autor van Nimwegen zeigt einfallsreich und verschiedenartig eine Meister-Sklave-Beziehung. Ein Reigen an SM-Praktiken und ein wahrliches Ein-Hand-Buch!
Ein oberlehrerhafter Ich-Erzähler
Jens van Nimwegen wurde 1950 im Bergischen geboren, studierte Mathematik und Physik und wirkt seit 1986 als Wissenschaftler und Autor in den Niederlanden und in Berlin
Wer mehr erwartet, wird leider schnell enttäuscht. Schon allein die Figur des Ich-Erzählers. Er wirkt distanziert, beinahe emotionslos, plump, altklug, selbstgefällig, selbstgerecht, oberlehrerhaft bzw. oberguruhaft. Zudem scheint er nie in Konflikte oder Extremsituationen zu kommen. Eine Entwicklung der Ich-Figur auf intellektueller oder emotionaler Ebene findet nicht statt – unglaubwürdig und langweilig! Van Nimwegen hätte sich ein Beispiel an Knut Kochs Roman "Barfuß als Prinz" nehmen sollen (queer.de rezensierte).
Leider ist auch die Handlung streckenweise öde. Die SM-Episoden oder -Experimente werden einfach nacheinander hingeklatscht. Eine Spannung dazwischen baut sich nicht auf. Der Text verkommt so zu einem Handbuch mit etwas Handlung drumherum. Ein Roman sieht anders aus!
Ärgerlich ist zudem, dass es Sätze gibt, die entweder entsetzen oder unfreiwillig absurd sind. Etwa fahren Thomas und Jens Bahn. Neben ihnen sitzt ein Türke mit einem kopfbedeckten Mädchen. Er starrt auf Thomas' Achselhöhle, das Mädchen nicht. Daraufhin der Satz: "Es (das Mädchen) ist auch gut abgerichtet, auf seine Weise." Da bleibt einen die Spucke weg. Denn diese kleine Szene wird unvermittelt präsentiert. Der Leser weiß von dem Türken und seinem Verhältnis zum Mädchen nichts. Ist der Türke der Vater, der Bruder oder der Geliebte? Wie alt ist das Mädchen? Und was heißt in diesem Fall abgerichtet? In Bezug auf was? Zur Religion? Oder zum patriarchalischem System? Nur weil jemand ein Kopftuch trägt und nicht auf eine fremde Achselhöhle schaut, heißt es noch lange nicht, dass er "abgerichtet" ist!
Gespräche zwischen Meister und Lehrling
Allerdings hätte Jens van Nimwegen doch noch eine spannende Wendung hinbekommen können: Nach etwa Dreiviertel des Buches finden Gespräche zwischen Jens und Ratte statt, zwischen dem Meister und seinem "Lehrling". Es geht u.a. um die Würde bei solch einem ungleichen Verhältnis. Doch statt zu reflektieren, inwiefern eine längerfristige SM-Beziehung mit der Würde zu vereinbaren ist, fertigt Jens kurz und bündig die Würde mit Stolz und Ehre ab. Das ist zu wenig und klärt diese hochspannende Zentralfrage nicht ausreichend. Schade – eine verpasste Chance!
Fazit: Wer Anregungen für Abrichtungs-Praktiken haben möchte, wird in diesem Buch eine wahre Fundgrube finden. Für all die anderen gibt es immer noch de Sade, Pasolini oder den oben erwähnten Koch!
Infos zum Buch
Jens van Nimwegen: Die Abrichtung. Roman. Männerschwarm Verlag, Hamburg 2012. 154 Seiten. 17 €. ISBN: 978-3-86300-120-9.
Wenn der Kritiker dieses Buch so negativ bewertet, warum stellt er nicht eines vor bei dem das Interesse geweckt wird es zu lesen?