Der offizielle Bericht der Bundesregierung zur "Geh deinen Weg"-Kampagne benennt das Thema Integration, aber nicht die Äußerungen Merkels zu schwulen Fußballern
Die Kanzlerin sagt, ein schwuler Fußballer müsse sich nicht fürchten. Auch die FDP nutzt das Thema zur Profilierung, während Fans Forderungen an die Politik und an Verbände stellen.
Von Norbert Blech
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich am Donnerstag ermutigend über schwule Fußballer geäußert. Über einen Bundesligaprofi, der vor zwei Tagen in einem Interview mit dem Magazin "Fluter" anonym über seine Homosexualität und die Angst vor einem Coming-out redete, sagte sie: "Ich bin der Meinung, dass jeder, der die Kraft aufbringt und den Mut hat, wissen sollte, dass er in einem Land lebt, wo er sich eigentlich davor nicht fürchten sollte."
Merkel, die sich erst kürzlich gegen eine Gleichstellung von Homo-Paaren im Steuerrecht ausgesprochen hatte (queer.de berichtete), sagte laut dem Portal Sport 1 weiter: "Wir können ein Signal geben: Ihr müsst keine Angst haben. Das ist meine politische Botschaft." Die Worte fielen bei der Präsentation der Kampagne "Geh Deinen Weg" – am Wochenende tragen Spieler aller Vereine den Slogan auf ihren Trikots, um für die Integration von Personen ungeachtet ihrer Herkunft zu werben. Die Aktion wurde von der Fußballliga und der Deutschlandstiftung Integration, deren Schirmherrin Merkel ist, ins Leben gerufen.
Am Dienstag hatte "Fluter", das Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung, ein Interview mit einem schwulen Bundesligaprofi veröffentlicht (queer.de berichtete). Darin sprach der Spieler von der Angst, sich zu outen, von weiteren Spielern, die ihm als schwul bekannt sein, und von den Frauen, die man bei öffentlichen Veranstaltungen als Begleitung präsentiere, um nicht aufzufallen.
Politiker profilieren sich
Neben Merkel lobten auch Politiker der FDP das Fußballerinterview als wichtigen Schritt "zu einer Situation, die wir uns alle wünschen: Ein Klima, in dem ein Bekenntnis zur eigenen sexuellen Orientierung nicht mehr als Bedrohung für Karriere und Privatleben von Fußballspielern gilt". Der "Koordinator für die Schwulen- und Lesbenpolitik der FDP-Bundestagsfraktion", Michael Kauch, und Lutz Knopek, Obmann im Sportausschuss des Deutschen Bundestages, lobten, dass "allen voran aus den Fanszenen immer wieder Aktivitäten kommen, um Vorurteile und Diskriminierung zu benennen und abzubauen."
"Initiativen der Fanprojekte, schwul-lesbische Fanclubs und Netzwerke wie 'FARE – Football Against Racism in Europe', 'Aktion Libero' oder 'Fußballfans gegen Homophobie' tragen Werte wie Toleranz und Weltoffenheit in die Kurven und helfen beim Abbau überkommener Rollenbilder", so die Politiker. "Das gilt insbesondere deshalb, weil es in deutschen Stadien immer noch vereinzelt homophobe Gesänge und Spruchbänder gibt." Man bräuche "dringend stärkere Netzwerke gegen Diskriminierung im Fußball".
Im März hatten CDU/CSU und FDP noch gegen einen Antrag der SPD im Sportausschuss des Bundestages gestimmt, der die "Förderung eines offenen Umgangs mit Homosexualität im Sport" zum Ziel hatte (queer.de berichtete). Die FDP hatte haushaltspolitische Bedenken, die Union sprach von Verallgemeinerungen, da Homosexualität in vielen Sportarten "keine belastende Rolle" spiele.
Alarmsignal statt Ende eines Tabus
In den letzten Jahren haben die positiven Signale aus Verbänden, Clubs und Fankreisen zugenommen. Reicht das? (Bild: FARE network / flickr / by-sa 2.0)
Weniger optimistisch äußerten sich am Donnerstag Mitglieder von Hamburgs schwul-lesbischen Sportverein Startschuss SLSV. Das Spieler-Interview sei ein "Alarmsignal", so der Leiter des Fußball-Bereichs Carsten Stock: "Auch wenn die Fälle unterschiedlich gelagert sind: Derzeit muss jeder schwule Profi fürchten, so zu enden wie Pezzoni." Der Kölner Spieler Kevin Pezzoni war nach schlechten Spielen von Fans bedroht worden und löste seinen Vertrag schließlich auf.
Stock sagte, bisher habe sich offenbar kein Verein mit dem Fall eines homosexuellen Mitspielers ausreichend beschäftigt. "Um Vertrauen zu gewinnen, müssen die Clubs endlich konkrete Konzepte erarbeiten und damit offensiv in die Öffentlichkeit gehen", so der 42-jährige DFB-Ehrenamtspreisträger. "Sonst können wir auf das erste Coming-Out im Profi-Fußball lange warten." Auch die Trainer bräuchten Hilfestellung, wie sie mit einem möglicherweise homosexuellen Spieler umgehen.
Dirk Brüllau, Sprecher des Netzwerks der schwul-lesbischen Fußball-Fanclubs Europas (QFF), sieht den Deutschen Fußball-Bund (DFB) in der Pflicht, mehr für Toleranz in den Fußballstadien zu tun. "Der neue DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat sich bislang nicht zu Themen wie Diskriminierung oder Homophobie geäußert", kritisierte Brüllau gegenüber Spiegel Online, "bei seinem Vorgänger Theo Zwanziger war das anders."
Der Präsident vom FC Bayern München, Uli Hoeneß, glaubt hingegen, man sei bereits gut aufgestellt: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein schwuler Spieler mit unseren Fans Probleme bekommt. Der FC Bayern ist vorbereitet", sagte Hoeneß bei der Vorstellung der "Geh Deinen Weg"-Kampagne. "Die gesamte Gesellschaft ist in diesem Punkt weiter als in den Medien dargestellt." Über kurz oder lang werde sich der erste Spieler outen. "Die Angst davor darf man aber nicht allein dem Fußball zuschreiben. Der Fußball ist offen genug dafür", sagte Hoeneß.
Liga-Präsident Reinhard Rauball sprach von einem ungelösten Problem: "Wir müssen eine Lösung im gesellschaftlichen Konsens finden. Niemand kann die Nachteile überschauen, die einem Fußballer drohen, der sich outet." Christian Seifert, Geschäftsführer der DFL, hatte dem Sender "Sky Sport News" gesagt, er habe großen Respekt vor dem Spieler, der das Interview gegeben hatte, "und nicht weniger Respekt, weil es jemand anonym getan hat."
Der Journalist Ronny Blaschke kritisierte im Deutschlandfunk, allein der Umgang der Medien mit dem Thema, die "geheimnisumwitterte Fahndung nach schwulen Kickern", pflege das vermeintliche Tabu eines schwulen Fußballers weiter, wobei niemand wissen könne, "ob es dieses Tabu noch gibt. Es wäre schön, aber es ist zu bezweifeln, dass dieses Interview daran etwas ändern wird."
Wenn ein Fußballprofi sich daran ein Beispiel nimmt und nach dem Outing ein Spießrutenlaufen beginnt, ist das Mutti auch egal.
Es geht Politiker ja nicht um die Menschen, sondern die eigene Profilierung. Ich weiß, eine sehr pessimistische Sichtweise.