https://queer.de/?17463
Debatte
Schwule Fußballer: Die Mutlosen
- 24. September 2012 6 Min.

Jan Feddersen ist plötzlich Fußballexperte und redet, neben dem Girl des Tages, über die besondere Heteronormativität im Fußball
Sie sind hier, sie sind queer – und sie schweigen. Eine Antwort auf Jan Feddersen, der nicht an die Existenz homosexueller Profifußballer glaubt, und auf eine unverhältnismäßige Debatte.
Von Norbert Blech
Der mediale Wirbel um ein Interview mit einem schwulen Fußballer will nicht enden. Nun hat sich, in einem Interview mit der "tz" aus München, auch noch "taz"-Redakteur Jan Feddersen in die Debatte eingeschaltet – mit gewohnt überrraschenden Aussagen. So glaubt der schwule Journalist nicht an die Echtheit des anonymen Fußballer-Interviews, das vor zwei Wochen im Magazin "Fluter" erschienen ist (queer.de berichtete).
"So ein Interview könnte ich zu Hause am Schreibtisch, ohne jegliche Recherche, kalt runterschreiben", so Feddersen. "Es stecken so viele Klischees darin, man könnte es leicht erfinden." Nun sollte man als Journalist durchaus Dinge anzweifeln und eine gesunde Skepsis haben – zu der es aber auch gehört, rufschädigende Anschuldigungen nicht ohne Belege zu bringen. Vor allem die Kritik-Orgie des Magazins "11 Freunde", das die Echtheit des Interviews in ganzen zwei Artikeln anzweifelte, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack: Wäre das Interview im "Spiegel" erschienen, hätte es niemand angezweifelt. Wer aber grundlos einen Journalisten der Lüge bezichtigt, weil er jung ist und für ein kleines Medium arbeitet, der schadet damit der Glaubwürdigkeit aller Medien. Dazu wird der Eindruck verstärkt, Homosexualität sei ein so großes Tabu, dass ein solches Interview geradezu erfunden sein muss.
Der "Fluter"-Redaktion kann man vorwerfen, das Interview nicht genügend redigiert und abgesichert zu haben. Das ändert aber nichts daran, dass man es für wahr halten kann – wie es auch der ehemalige schwule Fußballspieler Marcus Urban tut, der mit dem jungen Journalisten in Kontakt steht.
Natürlich gibt es schwule Profikicker

Sorgen die Medienberichte dafür, dass Tabus Tabus bleiben?
Ist die Redaktion von "11 Freunde" also sauer über den entgangenen Scoup? Oder glaubt man einfach, dass es tatsächlich keine schwulen Profi-Fußballer gebe? Das behauptet nun Feddersen: "Eine Aussortierung der potenziell schwulen Spieler findet schon lange vor dem Profibereich statt. Jährlich wollen es Hunderttausende schaffen, aber nur wenigen gelingt es."
Bereits Eltern hätten "heterosexuelle Erwartungen" an den Sohn, eine Haltung, die sich im Sport besonders fortsetze, so Feddersen: "95 Prozent der Kabinengespräche drehen sich um Weiber und um das, was Jugendliche in diesem Alter eben interessiert. Bei diesem ganzen Gerede fallen fast immer die potenziell schwulen Spieler raus, weil sie merken, dass sie das nicht betrifft und dass sie sich dort nicht einklinken können. Besonders heikel wird es beim Übergang vom A-Jugend- in den Profibereich."
Der Gegenbeweis zu Feddersens These ist schnell erbracht: Natürlich gibt es schwule Profofußballer, Marcus Urban ist da ein Beispiel, auch wenn der sich aufgrund seiner Homosexualität kurz vor einem Einstieg ins Profigeschäft zurückzog und damit durchaus zu Feddersens These passt. Aber allein dieser Redaktion sind weit über Gerüchte hinaus zwei schwule Fußballer bekannt, die noch vor wenigen Jahren in der ersten Bundesliga spielten. Und da ist die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling, die schwule Fußballspieler berät und darüber öffentlich glaubwürdig berichtet, ohne Details zu nennen.
Angst vor dem Karriereknick
Das heteronormative Klima, das Feddersen beschreibt, findet sich so nicht nur auf den Fußballplatz; es führt auch heute noch dazu, dass viele Schwule und Lesben sich nicht in ihrer Familie, nicht auf dem Arbeitsplatz outen. Davon ist in den Medien leider wenig die Rede. Aber das führt bei diesen Personen zumeist nicht dazu, dass sie einen Job nicht antreten oder aufgeben. Sie verschweigen stattdessen ihre Homosexualität, der Karriere zuliebe.
Es gibt keinen Grund für die Annahme, beim Fußball wäre das als einzigem Arbeitsplatz anders. Gibt es etwa ernsthaft Unterschiede zu den Kabinen im Rugby, im Boxen? In den Sportarten gab es prominente Coming-outs. Zweifellos ist die Fallhöhe deutlich höher: Wer – wie andere Prominente auch – in der Öffentlichkeit steht, muss mit mehr Anfeindungen rechnen. In diesem Fall durch Fußballfans, deren Reaktionen auf ein Coming-out noch als unberechenbar eingeschätzt werden, obwohl selbst Ultras inzwischen Aktionen gegen Homophobie unterstützen.
Der erste offen schwule Profifußballer schaut zudem einer ungewissen Zukunft entgegen – es darf befürchtet werden, dass er es bei einem Vereinswechsel weiterhin schwierig haben wird, dass Sponsoren das Interesse verlieren. Vieles spricht dafür, dass hier, und nicht bei möglicherweise homophoben Mitspielern oder Fans, der Hauptgrund für ein weiteres Versteckspiel steckt: Ein Bekanntwerden der Homosexualität steht einer bestmöglichen Karriereplanung entgegen. Bei einer Abwägung der Eigeninteressen kommt das Coming-out, so befreiend es auch sein kann, nicht an erster Stelle.
Das alles spricht nicht gegen die Existenz von schwulen Profifußballern, es erklärt hingegen, warum diese weiterhin kein Coming-out wagen. Der alle paar Monate neu ansetzende Medienrummel um das Thema und die damit einhergehende Überhöhung tragen letztlich ebenso wenig zu einer Entspannung bei wie Äußerungen vermeintlicher Experten.
Der Glaube jedenfalls, homosexuelle Fußballer ließen sich bereits durch ein vermeintlich besonders stark heterosexuelles Kabinengeschätz von einer Karriere abhalten, ist zu wenig durchdacht, folgt einer gewissen Weichei-Logik, die nicht hilfreich ist, und ist wohl auch zu einfühlsam: Unsere Klemm-Fußballer sind karriere- und geldgeil genug, sich davon nicht abhalten zu lassen.
Anders als die anderen?

Aktion von Mainzer Fans gegen Homophobie
Man sollte ihnen daher auch nicht mehr Mitgefühl und Aufmerksamkeit zugestehen als Anderen: dem schwulen Schüler, der lesbischen Kindergärtnerin, dem bisexuellen Pastor (wie, das nebenbei, dem schwarzen Spieler). Dass der Fußball im Jahr 2012 tatsächlich noch homophober ist als der Rest der Gesellschaft, ist mehr Vermutung als belegt.
Homophobie ist zugleich weiterhin ein schweres Problem, das umfassend bekämpft gehört – leider nimmt die Riesenaufregung über ein anonymes Interview mehr Raum in den Medien und der öffentlichen Debatte ein als etwa weiterhin mangelnde Aufklärung in Schulbüchern oder die ganze Schar von CDU-Abgeordneten, die sich in den letzten Wochen für einen Fortbestand der rechtlichen Diskriminierung von Schwulen und Lesben ausgesprochen haben. Darunter die Kanzlerin.
Ausgerechnet sie wurde mit "mutmachenden" Äußerungen an den Profifußballer zitiert (sie wurde öffentlich gefragt, was hätte sie anderes sagen sollen?) So lenkt die Debatte viel zu sehr von den eigentlichen Problemen, Journalisten zu sehr von den eigentlichen Themen ab, wird vielleicht auch als Feigenblatt genutzt. Das wäre doch produktiver: Diskriminierung, Gewalt und Homophobie konkret und energisch benennen, kritisieren und bekämpfen, wo sie existiert, anstatt über vermeintliche Tabus und vermeintliche Homophobie zu spekulieren und damit Tabus aufrecht zu erhalten.
Es gibt viele Wege, Homophobie zu bekämpfen. Der wichtigste ist, sich ihr zu stellen, wie es viele Schwule und Lesben privat und öffentlich, im Kleinen und im Großen tun. Sich zu outen, sich zu engagieren. Hier seien beispielhaft die schwulen und lesbischen Fußballfans benannt, die sich in Fanclubs zusammengetan haben und auf den Tribünen viel mehr auf heterosexuelle und vermeintlich homophobe Fans treffen als die Profis selbst.
Den eigenen Kampf gegen Homophobie kann den schwulen Kickern keine Kanzlerin, kein DFB, keine Sport-Bild abnehmen, so sehr die Erzeugung eines positiven Klimas auch wichtig und ausbaubar ist. Mit mangelndem Mut ändert man keine Vorurteile, mit mangelndem Mut ist man kein Vorbild, wie gerade der Sport sie erzeugen sollte.
Jan Feddersen glaubt nicht an ein baldiges Coming-out eines Profispielers. Damit dürfte er Recht haben.















aus welchem grund er sich wieder mal "ereignen" muss, scheint ihm selbst nicht klar zu sein ?