Für Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger darf die Rechtsprechung nicht zum "Spielball der wechselnden Mehrheiten im Bundestag" werden (Bild: freiheitsfreund / flickr / by-sa 2.0)
Auch die Ministerpräsidenten von Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland sähen in diesem Fall die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet.
Von Carsten Weidemann
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Kurt Beck (SPD), Volker Bouffier (CDU), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und David McAllister (CDU) wollen, dass in der Bundesrepublik nach dem Paragraf 175 verurteilte schwule Männer weiterhin vorbestraft bleiben. Die Bundesjustizministerin sowie die vier Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland und Niedersachsen haben sich gegen die gesetzliche Aufhebung dieser Urteile ausgesprochen.
Anlass der Äußerungen: Am Freitag hatte der Bundesrat einen Antrag der beiden Bundesländer Berlin und Hamburg angenommen, in dem die Rehabilitierung von über 50.000 Schwulen gefordert wird, die wegen ihrer sexuellen Orientierung nach 1945 vom Staat verfolgt worden waren (queer.de berichtete). In den Beschluss heißt es u.a.: "Die formelle Aufhebung der einschlägigen Strafurteile sowie eine daraus resultierende Entschädigung sind deshalb ernsthaft von der Bundesregierung zu prüfen."
Aufhebung der Urteile ein "Verstoß gegen die Gewaltenteilung"?
Mit Kurt Beck positionierte sich auch ein rot-grüner Ministerpräsident gegen die Aufhebung der Urteile (Bild: xtranews.de / flickr / by 2.0)
Nachdem auf Antrag der rot-grünen Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die im ursprünglichen Antrag enthaltende Kritik am Bundesverfassungsgericht entfernt wurde, fand sich in der Länderkammer eine Mehrheit. Karlsruhe hatte noch im Jahr 1957 den Paragrafen 175 als verfassungskonform gebilligt.
Wenn der Bundestag Gerichtsurteile aufhebe, verstoße dies gegen die Gewaltenteilung, argumentiert nun Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, die Justiz habe damals etwas falsch gemacht, schließlich habe sie nur die damals geltenden Gesetze angewandt, heißt es in einer Stellungnahme des FDP-geführten Ministeriums. Die Rechtsprechung dürfe nicht zum "Spielball der wechselnden Mehrheiten im Bundestag" werden. Eine Aufhebung der Urteile sei zudem unnötig, findet Leutheusser-Schnarrenberger. Der Bundestag habe schließlich bereits im Jahr 2000 in einer Resolution klargestellt, dass die Menschenwürde der betroffenen homosexuellen Männer auch durch die Nachkriegsurteile verletzt wurde.
Die Fronten verlaufen quer durch alle Parteien
Die saarländischen Schwusos übten bereits scharfe Kritik an CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (Bild: Wiki Commons / J. Patrick Fischer / CC-BY-SA-3.0)
Ähnlich argumentieren die vier Ministerpräsidenten von Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland, die am Freitag im Bundesrat eine gemeinsame Erklärung zu Protokoll gaben. Darin heißt es, es dürfe kein Präzedenzfall geschaffen werden. Eine Aufhebung von Urteilen, die unter Geltung des Grundgesetzes erfolgten, gefährde die Unabhängigkeit der Justiz. Die Rehabilitierung und Unterstützung der Betroffenen werde aber befürwortet, stellten die vier Ministerpräsidenten klar.
Die Beteiligung von Saarlands schwarz-roter Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer an der Erklärung haben die Schwusos scharf kritisiert. Der Ministerpräsidentin und der CDU scheine das Schicksal der noch lebenden Betroffenen "gleichgültig zu sein", erklärte Schwusos-Landesvorsitzender Edgar Spengler. Sie mussten Gefängnisstrafen verbüßen und verloren oft ihre bürgerliche Existenz. Die Union setze die "jahrzehntelange latente Diskriminierung der Adenauer-Ära" fort.
Was die saarländische Schwusos übersehen: In der Frage der Aufhebung der Urteile verlaufen die Fronten quer durch alle Parteien. Mit Kurt Beck hat sich schließlich selbst der Ministerpräsident eines rot-grün regierten Bundeslands dagegen ausgesprochen. Vor wenigen Jahren hatte Rot-Grün im Bund eine entsprechende Regelung abgelehnt. Der Bundesrats-Antrag auf Rehabilitierung der §175-Opfer wiederum war vom rot-schwarzen Berliner Senat ausgegangen.
Berlins Justizstaatssekretär Alexander Straßmeir (CDU) verteidigte unterdessen die Forderung nach Aufhebung der Urteile: "Es geht hier nicht um irgendwelche Gesetze, die inzwischen geändert wurden, sondern um echtes Unrecht", erklärte er gegenüber der "taz". "Wenn Urteile aufgehoben werden, die auf Unrecht beruhen, ist der Rechtsstaat nicht gefährdet, sondern wiederhergestellt."