Hans Werner Henze widmete das Projekt "Ruhr 2010" einen Schwerpunkt (Bild: Ruhr 2010 / Ursula Kaufmann)
Die vielen Nachrufe auf den jüngst verstorbenen Komponisten betrachten vor allem sein musikalisches Schaffen. Ein paar Ergänzungen zu seinem schwulen Leben.
Von Christian Scheuß
Der Schriftsteller Hubert Fichte war einer der wenigen Autoren, der einmal offen zugab, dass das homosexuelle Begehren die große Antriebsfeder seines Lebens ist. Nicht das Denken sei es gewesen, das ihn in die Welt trieb, sondern allein sein homosexuelles Interesse an den Körpern. Ob dies auch für den Komponisten Hans Werner Henze galt? Wenn man sich die Stationen seiner Reisen um die Welt ansieht, liegt dieser Schluss sehr nahe. Auch wenn er es so direkt nicht gesagt hat. Es steht in seinen "Autobiographischen Mitteilungen", die er zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1996 unter dem Titel "Reiselieder mit böhmischen Quinten" veröffentlichte, zwischen den Zeilen.
So verbrachte Henze Anfang der Fünfziger Jahre eine Weile auf der Insel Ischia, die wie Capri einer der Hotspots der homosexuellen Welt in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war. Ende der Sechziger lebte er für eine Weile in Havanna, was ihm die Kritik Fichtes einbrachte: "Henze fühlt sich in Kuba trotz der Zwangslager für Homosexuelle wohl", ätzte der Schriftsteller, der die Gespräche, die er einmal mit dem Komponisten geführt hatte, als "Tuntenschnack" abtat. Offensichtlich waren sich da zwei ganz besondere Diven begegnet…
Das Homoparadies Ischia lockte nicht nur mit Klima und Küche
Der Komponist im Jahr 1960 (Bild: Wiki Commons / Common Good / CC-BY-SA-3.0-DE)
Als Henze 1953 aus dem kalten Adenauerdeutschland ins sonnige Italien zog, lockte er die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, die er ein Jahr zuvor kennengelernt hatte, zu sich. Bachmann war offensichtlich angetan von dem Mann, der kein sexuelles Interesse anmeldete und ihr stattdessen die künstlerischen Freiräume ließ, die sie sich auch in einer Beziehung wünschte. Das belegt der Briefwechsel der Beiden, der 2004 veröffentlicht worden ist. In den gemeinsamen Monaten auf Ischia, von August bis Oktober 1953, entstanden Ingeborg Bachmanns Gedichtzyklus "Lieder von einer Insel" sowie das Hörspiel "Die Zikaden", zu dem Henze die Musik lieferte. Auch Henze fühlte sich mit Bachmann wohl und hegte Hoffnungen, seine homosexuellen Facetten mit einer bürgerlichen Existenz übertünchen zu können. Er machte ihr einen Heiratsantrag, den sie mit Distanzierung beantwortete. Henze entschuldigt sich später in einem seiner Briefe und belegt darin auch, wie weit er noch von seinem inneren Coming-out entfernt ist:
"nun kann ich Dich nur bitten, mir zu verzeihen. ich hoffe, es zählt nicht wirklich, dass Du Dich von mir verletzt fühlen könntest, weil ich jemandem in betrunkenem zustand erzählt habe, wir würden vielleicht heiraten. wahrscheinlich wäre das leben zur hölle geworden, vor allem für Dich, das war mir sofort klar, als ich mich den tatsachen gestellt habe. für mich gibt es weder hoffnung noch rettung. ich muss mein erbärmlich einsames leben bis zum bitteren ende durchhalten, und Dir sollte inzwischen klar sein, dass Deine ehre auf diese weise weniger beschädigt ist, als wenn Du mich wirklich geheiratet hättest, unbrauchbar, wie ich wirklich bin."
Mit seinem Lebenspartner Fausto Moroni war er 42 Jahre zusammen
Eine seltene Aufnahme: Henze (li) mit Freund Fausto Moroni (Bild: Screenshot operachic.typepad.com)
Im Laufe seiner künstlerischen Karriere und auf seinen Reisen begegnete Henze vielen wichtigen schwulen Künstlern und Intellektuellen. Auf der Liste befinden sich unter anderem Hans Mayer, Wystan Hugh Auden, Golo Mann, Luchino Visconti, Aaron Copland, Francis Poulenc und Jean Cocteau. Im Jahr 1964, da war Henze 38 Jahre alt, traf er in einem Pariser Antiquariat auf einen jungen Mann. Den 20-jährigen Fausto Moroni machte er offiziell zu seinem Adoptivsohn, aber ganz privat waren sie ein Liebespaar. Eines auf Dauer, bis zum Tode Moronis im Jahr 2007.
Eine lateinisch gesungene Kantate über verschwundene Geliebte, "Elogium musicum amatissimi amici nunc remoti", war seinem Lebenspartner gewidmet, diente der Trauerbewältigung. Distanz schuf er durch die alte Sprache, wie Henze 2010 in einem Interview erklärte: "Es sollte zum Ausdruck kommen, dass das Thema des Todes ein universelles ist, nicht nur eine persönliche, mich allein betreffende Angelegenheit."
Im selben Gespräch zeigte er auch, dass er nicht nur mit seinen Kompositionen ein Leben lang auf der Suche nach Schönheit war. Er war ein Menschenfreund, der seine Gattung mit Optimismus betrachtet: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu Ende geht mit einer Welt, die so schön ist und so reich an positiven Werten Die Menschen sind doch ein anbetungswürdiges Geschlecht, voller Stimmungen und Gefühle, von großer Erfindungsgabe, schönheitsbedürftig."
Hans Werner Henze starb am 27. Oktober 2012 im Alter von 86 Jahren in Dresden.
Youtube | Semperoper Dresden zeigt Bilder von den Proben zu Henzes Stück "Wir erreichen den Fluss"
Erinnert einen an den:
de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Carleton_Gajdusek
Adoptionsinzest ist wie richtiger Inzest moralisch verwerflich!